Essen. „Bericht für eine Akademie“ am Schauspiel Essen. Wie Regisseur Zafer Tursun Kafkas Affen Rotpeter in eine Zwangsjacke des Angepasstseins steckt.

Der Käfig ist verschwunden, die Freiheit trotzdem nicht in Sicht. Zafer Tursun steckt den Affen Rotpeter in seiner Bühnenfassung des Kafka-Textes „Bericht für eine Akademie“ in eine Zwangsjacke des Angepasstseins. Im klinisch-kühlen Bühnenbild auf der Casa-Bühne des Schauspiel Essen wird aus Rotpeter dabei auch ein Fall für die Psychiatrie. Das Premierenpublikum belohnte die asketisch geratene Inszenierung des Literatur-Klassikers voller subtil eingewobener, gesellschaftspolitischer Bezüge mit langem, herzlichen Applaus.

Im braunen Anzugjackett betritt dieser Rotpeter anfangs die kleine Casa-Bühne, lächelt leise, bäumt sich auf, als übe er immer noch den Aufrechtgang, fixiert das Publikum. Die Zuhörer der Akademie, das sind wir Zuschauer. Und dieser Rotpeter ist plötzlich nicht mehr bloß das exotische, domestizierte Tier, das auf einer Hagenbeck’schen Expedition von Westafrika nach Europa verschifft wird, sondern einer von vielen: Von körperlicher und seelischer Pein gemartert, nach langer Reise auf unsicherer See schwer gezeichnet, zum Schnapstrinken gedrängt, mit Schlägen traktiert und gedemütigt und zum vollwertigen Teil der Gesellschaft dressiert.

Der Affe hat seine Natur besiegt, wissend, dass Nachahmung der einzige Ausweg ist, der Tortur des Ausgegrenztseins zu entfliehen. Nun darf er sich gemütlich eine Pfeife anzünden und das vermeintliche Privileg der Menschwerdung genießen. Rotpeter wird zum gerngesehen Gast auf Feiern und Kongressen und zum Star des Varieté.

Der Regisseur Zafer Tursun im Bühnenbild  von „Ein Bericht für eine Akademie
Der Regisseur Zafer Tursun im Bühnenbild von „Ein Bericht für eine Akademie" in der Casa des Schauspiel Essen. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Zafer Tursun lässt in Kafkas Monolog geschickt Aspekte der Leitkultur-Debatte mitschwingen. Was ist das eigentlich, erfolgreiche Assimilation? Die Aufgabe von kulturellen Eigenheiten, Vielschichtigkeit, Identität? Der in Köln geborene Regisseur mit kurdischen Wurzeln lässt den „Bericht für eine Akademie“ dabei aus verschiedenen Perspektiven erzählen. Rezo Tschchikwischwili ist der kultivierte Affensenior, dessen warmer, georgischer Zungenschlag noch von der Erfahrung des Ankommens und Einfindens in einer fremden Umgebung erzählt. Sein intensiver, fast nachdenklicher Ton ist der Gegenentwurf zum animalischen Furor, mit dem Kafkas Text sonst oft in Szene gesetzt wird. Tschchikwischwili Rotpeter ist der Affe, der im Glashaus sitzt. Ein gezähmter Wilder, dessen kultivierte Einlassungen interessiert von den Männern in Weiß beobachtet wird.

Wer eigentlich im gläsernen Käfig sitzt, ist bald nicht mehr so sicher

Dennis Bodenbinder und Shehab Fatoum erscheinen auf der Bühne wie klinisches Fachpersonal, das sich mal fachkundig über die Anpassungs-Fortschritte dieses afrikanischen Patienten austauscht, mal verschiedene Rollen und Textpassagen der Kafka-Vorlage übernimmt. Wer dabei wen beobachtet, ist bald nicht mehr ganz klar im ebenso spartanischen wie variablen Bühnenbild von Marlene Lücker, das aus drei beweglichen Glasmodulen besteht. Mal fungieren sie als Spiegelbild äffischer Aneignung, mal formen sie sich zum gläsernen Käfig, in dem mal der eine, mal der andere sitzt.

Zafer Tursun hat fast alles Animalische gestrichen. Kein Fitzelchen Fell, keine Vorführung zivilisatorischer Verbiegungen, kein archaisches Über-alle-Stühle-Gehen. In einer guten Stunde macht das überzeugende Ensemble aus Kafkas alptraumhafte Affen-Verwandlung vielmehr ein Nachdenken über Anpassungszwänge der Gegenwart. Der Traum von Freiheit, er entpuppt sich dabei als (selbst)betrügerische Vorstellung.

Tickets und Termine: Tel. 0201-8122-200, online www.theater-essen.de