Essen. Bewegte Zeiten auf der Leinwand: „Strange World“, „Zeiten des Umbruchs“, „Bones and All“ und „Emily“ – die Kino-Neustarts im Überblick.

Neu im Kino: Ein geklontes Disney-Abenteuer, eine Jugend in New York der 1980er, zerstörerische Romantik mit Roadmovie-Melancholie und ein Blick auf das Leben, Wirken und frühe Sterben der Emily Brontë. Bei welchen Filmen lohnt der Kauf der Kinokarte – und bei welchen nicht? Auf dieser Seite stellen wir die Neustarts der Woche vor.

„Strange World“

Jaeger Clade ist ein wilder Entdecker, seinen Sohn Searcher zieht es eher zu Landwirtschaft und Erfindungen. Auf einer Expedition durch unerforschtes Land müssen Vater und Sohn sich ihrer Schwächen bewusst werden und sich zum Wohle aller zusammenraufen.

Ein neuer, sündhaft teurer Disney-Abenteuerfilm in 3D-Animation; prall gefüllt mit Tempo und Effekten und doch nur ein plumper Klon aus „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ und „Die phantastische Reise“, der seinem Familienpublikum gern auch mal Luft zum Atmen lassen könnte. Bester Einfall: Jaeger rasiert sich mit einem Piranha.

„Zeiten des Umbruchs“

New York im Spätsommer 1980: Der elfjährige Paul lebt als jüngster Spross einer jüdischen Familie im gesicherten Mittelstand, aber Jonathan, schwarz und sitzengeblieben, kommt vom unteren Rand des sozialen Spektrums, wird ständig jeglicher Missetat verdächtigt, glaubt aber immer noch an Solidarität, wie Mark Twain sie in „Huckleberry Finn“ beschrieb. Paul spürt das sofort und freundet sich gern mit Jonathan an. Als seine Schulnoten sich stetig verschlechtern, gibt das Ärger zu Hause.

Die Eltern werden von Anne Hathaway und Jeremy Strong verkörpert und Anthony Hopkins gibt eine seltsam anrührende, gleichermaßen strenge wie faire Großvaterfigur.

Filmautor James Gray, seit den frühen 90ern („Little Odessa“, „The Yards“) in Festivalzirkeln hoch im Kurs, vom großen Publikum aber bis heute unbeachtet, gesellt sich mit seiner jüngsten Regiearbeit in die Reihe renommierter Filmemacher (Kenneth Branagh und demnächst Steven Spielberg), die einen nostalgisch gefärbten Blick zurück in die eigene Kindheit werfen. Grays New Yorker Befindlichkeiten sollen den Blick fürs Soziale schärfen, bleiben aber stets ohne Ursachenforschung.

Am Ende sagt sich der junge Held von allen los, geht allein in den Sonnenaufgang des erstrebten Künstlerlebens. Mit elf Jahren? Das ist auch in New York wenig glaubhaft.

„Bones And All“

Mit 18 Jahren ist Schluss, da wird Maren von ihrem Vater vor die Tür gesetzt. Das Mädchen muss mit seinem Appetit nach frischem Menschenfleisch nun allein klarkommen. Die Suche nach sich selbst und der Mutter, die sie nie kannte, gestaltet sich schwer; Gleichgesinnte zu finden ist dagegen leicht, denn es gibt offenbar in jedem zweiten Provinznest in Ronald Reagans Amerika der 80er-Jahre Leute, die einen verbotenen Snack zu schätzen wissen. Einer davon, der junge Lee, ist hübsch und bald auch Maren romantisch zugetan.

Schmucke Filmkunst und brutaler Bluthorror reichen sich im neuen Film von Luca Guadagnino (er drehte zuletzt die schwule Kult-Lovestory „Call Me by Your Name“ und das Schock-Remake „Suspiria“) ebenso die Hand wie Roadmovie-Melancholie, Angst vorm Erwachsenwerden und Kapitalismuskritik. Es gibt attraktive Jungstars (Taylor Russell, Timothée Chalamet) und fiese weiße Männer (Mark Rylance, Michael Stuhlbarg) und alles balanciert geschickt zwischen Benetton-Reklame und Südstaaten-Musikclip. Es dauert nur über zwei Stunden und suhlt sich arg selbstgefällig im Morbiden. Sage niemand, er sei nicht gewarnt worden!

„Emily“

Emma Mackey ist Emily Brontë in „Emily“.
Emma Mackey ist Emily Brontë in „Emily“. © Unbekannt | Wild Bunch

Adrett, intelligent und in der Liebe unerfahren entflammt die mittlere Tochter eines Pfarrers aus der nordenglischen Provinz mit Anfang 20 für den neuen Vikar William Weightman, und erkennt gereizt, dass auch ihre ältere Schwester Charlotte ein Auge auf den Mann geworfen hat. Zugleich spornt ihr Bruder Branwell Emilys Faible für wildromantische Lyrik und freigeistiges Leben an.

Das Leben, Wirken und frühe Sterben der Emily Brontë nimmt die Schauspielerin Frances O’Connor in ihrem Regiedebüt mit präzisem Studium einer ungewöhnlichen Familiensituation zur Mitte des 19. Jahrhunderts unter die Lupe. Dokumentarisch ist das wertvoll, im weitgehenden Verzicht auf melodramatische Effekte und atmosphärische Dichte aber auch etwas zäh. Emma Mackey („Tod auf dem Nil“) spielt die Titelrolle mit viel geschürzter Unterlippe und sieht dabei aus wie Margot Robbie, die die Rolle so zu spielen versucht, wie sie Keira Knightley gespielt hätte.

Es ist kein Zufall, dass der Film seine stärksten Kinomomente hat, wenn er doch mal in die Nähe des Gothic-Genres gerät.