Köln. Partner und Kinder von psychisch Kranken laufen Gefahr, selbst zu erkranken. Stiftungsgründerin Bettina Busch erzählt aus eigener Erfahrung.

Immer mehr Menschen erkranken seelisch. Insbesondere in der Corona-Zeit ist die Nachfrage nach einer Therapie groß – auch für Kinder und Jugendliche. Betroffen sind zudem die Angehörigen, die helfen möchten und gefährdet sind, sich selbst zu verlieren. Bettina Busch hat erlebt, wie ohnmächtig man sich fühlen kann, wenn ein geliebter Mensch psychisch erkrankt. Maren Schürmann sprach mit der 50-Jährigen, die eine Stiftung in Köln gegründet hat, damit sich Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht länger verstecken müssen – und ihre Familien und Freunde ebenfalls gestärkt werden.

Sie haben Ihre Stiftung nach Ihrem Vater benannt: Eckhard Busch. Wie kam es dazu?

Bettina Busch Als ich Ende 20 war, ist mein Vater an Darmkrebs erkrankt. Es war klar, dass er daran in absehbarer Zeit sterben würde. Das ist uns auf eine unschöne Art mitgeteilt worden. Dann hat mein Vater eine Depression entwickelt. Er hat meine Mutter und mich ein Jahr lang mit Suizid-Absichten konfrontiert. Schließlich hat er Schlaftabletten genommen. Es ist ja sehr unterschiedlich, wie Angehörige das erleben, sie ahnen gar nichts oder sie wissen es. Wir wussten das. Ich habe noch mal mit ihm telefoniert. Aber was sagst du da, außer dass du ihn liebst? Was sagst du? Sein Tod war ein Schock. Danach habe ich überlegt, ich möchte etwas tun. Aber ich wollte keine Darmkrebsstiftung gründen. Mir wurde klar, dass mein Vater letzten Endes an seiner Depression gestorben ist.

War die Krebserkrankung der Auslöser für die Depression?

Als ihr Vater an einer Depression erkrankte, wollte Bettina Busch unbedingt helfen - und fühlte sich oft wie lebendig begraben.
Als ihr Vater an einer Depression erkrankte, wollte Bettina Busch unbedingt helfen - und fühlte sich oft wie lebendig begraben. © Privat | Privat

Mein Vater war ein humorvoller und lebensbejahender Mensch, aber schon vor dem Krebs war er depressiv. Mir war das damals nicht klar, da war ich noch zu klein, sechs Jahre vielleicht. Außerdem muss man mal zurückrechnen, mein Vater ist jetzt schon 20 Jahre tot, die Stiftung gibt es seit elf Jahren, damals war man noch viel weniger offen damit, Kindern gegenüber natürlich mal erst recht.

Da die richtigen Worte zu finden, ist bestimmt nicht leicht. Wird viel zu viel geschwiegen?

Ich glaube, das ist erstmal ein gesellschaftliches Thema, das wir da viel schweigen, weil die psychische Erkrankung, gerade die Depression, mit einer Schwäche assoziiert wird. Das heißt, da ist viel Scham dabei, das ist Stigma-besetzt. Was in den letzten Jahren gut war, ist die Diskussion um den Burn-out. Ich nenne das die Leistungsdepression – und damit ist die Depression etwas gesellschaftsfähiger geworden. Familien sind ja das Abbild der Gesellschaft. Natürlich gibt es Familien, in denen überhaupt nicht gesprochen wird. Aber wir erleben das schon so, dass die Angehörigen irgendwann die Veränderungen bemerken.

Wie können sie sich dann am besten verhalten?

Das Wichtigste wäre, dass man offen darüber spricht, und zwar, ohne Vorwürfe zu machen. Erstmal beschreiben: „Ich nehme wahr, du bist irgendwie in dich gekehrt. Was bewegt dich?“ Und das nicht mit irgendeinem Druck. Also erstmal Angebote machen zu sprechen. Dann kann man einen Fachmann aufsuchen, eine Vertrauensperson, den Hausarzt – und sich da Hilfe holen.

Das muss für Angehörige ein Gefühlswirrwarr sein: Man fühlt mit. Aber selbst geht es einem wahrscheinlich auch nicht gut, hat vielleicht ein schlechtes Gewissen, nicht genug tun zu können. Wie ist es Ihnen ergangen?

Genau so. Es ist viel Verzweiflung zusammengekommen, viel Sorge um meinen Vater. Ich habe immer gesagt, es ist für mich so, wie lebendig begraben zu sein. Ich hab’ das Gefühl, ich kann hier nichts mehr bewegen. Man möchte unbedingt helfen und fühlt sich so hilflos, so ohnmächtig und so ausgeliefert. Jetzt muss ich sagen, ich habe ja nicht mehr zu Hause gewohnt. Meine Mutter war da noch näher dran, sie hat das als unfassbar bedrückend beschrieben. Allerdings ist in den vergangenen zehn Jahren viel passiert, es gibt heute Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige. Und je früher ich eine psychische Krise angehe, desto besser ist die Prognose. Allerdings muss die Person auch bereit sein für ein Hilfsangebot.

Sie sagen, Sie waren verzweifelt. Liegt einem manchmal der Satz auf der Zunge: „Jetzt reiß dich doch mal zusammen!“

Auch interessant

Ja, natürlich. Aber so ein Satz macht nur Druck, das ist ein No-Go. Es ist für Gesunde nicht immer nachvollziehbar. Ich muss mich auch heute manchmal noch am Riemen reißen, wenn ich zu jemandem sagen möchte: „Komm mal in die Hufe.“ Aber dann muss ich mir sagen: Stopp! Das ist etwas anderes hier, derjenige ist krank, er kann es in diesem Moment nicht. Er kann es nicht!

Sich da zurückzunehmen, stelle ich mir belastend vor. Wie findet man den richtigen Weg?

Ich habe versucht, für meinen Vater einfach da zu sein, mich zu ihm gelegt, ihm die Hand gehalten. Hilfe anbieten oder auch nur fragen: „Sollen wir mal eine Fahrradtour machen?“ Und dann sich wieder abgrenzen und sagen: „Okay, wenn du nicht willst, dann würde ich alleine fahren – ist das für dich in Ordnung?“ Man braucht für den erkrankten Menschen Verständnis, aber man muss auch nicht das Gefühl haben, dass man hinter ihm immer zurückstehen muss. Ich habe sehr darauf geachtet, weiterhin eine feste Tagesstruktur zu haben. Ich hatte meinen Beruf, meine Freunde, ich habe bewusst gesagt, ich gehe jetzt aus, ich gehe tanzen. Man muss schon auf sich achten, dass man bei Kräften bleibt. Menschen, die lange mit psychisch Erkrankten zusammenleben, stehen selber unter einem enormen Risiko, zu erkranken. Auch die Kinder von Betroffenen, die haben ein höheres Risiko, nicht nur genetisch, sondern auch durch diese Art des Lebens.

Wie können Kinder mit einem seelisch kranken Elternteil unterstützt werden?

Es gibt heute Projekte, wo diese Kinder aufgefangen werden. Sie sind dann mit anderen Kindern zusammen, die ähnliches erleben. Sie können sich künstlerisch, musikalisch ausdrücken, ohne, dass die Erkrankung ständig besprochen wird. Der gesunde Elternteil ist oft gar nicht in der Lage, das alleine aufzufangen, weil man genug mit sich, dem kranken Partner und mit der Organisation der Familie zu tun hat. Es wäre wünschenswert, wenn es noch mehr Angebote dieser Art geben würde, damit diese Kinder nicht die nächsten Erkrankten werden.

Was können Eltern tun, wenn es dem eigenen Kind nicht gut geht?

Kinder können ihre Tagesstruktur nicht überdenken, sie sind da hilfloser. Eltern sind gefordert, ihnen Angebote zu machen, sie zu bestärken, in dem, was sie gut machen. Ich wäre aber immer vorsichtig, wenn man bei Kindern und Jugendlichen eine Traurigkeit beobachtet, man sollte ihnen kein Etikett anhängen: psychisch krank. Das erzeugt Schwere. Sie können in der Pubertät sein, dann sind sie mal schwierig. Wenn es auffällig wird, sollte man natürlich handeln, zum Beispiel mit dem Kinderarzt darüber sprechen.

>> Die Stiftung

Auch interessant

Wenn viel über psychische Erkrankungen gesprochen wird, dann verlieren Menschen auch ihre Berührungsängste, so ein Ansatz von Bettina Busch (Foto). Mit ihrer Stiftung möchte die Volkswirtin sensibilisieren für Depressionen, Angststörungen oder auch Borderline. Für den 14. Oktober plant sie einen Aktionstag speziell für Angehörige von psychisch Erkrankten.

Die Stiftung macht auch einen Podcast, thematisiert etwa Suizidprävention oder wie es Kindern und Jugendlichen in der Coronakrise geht: Redseelig. (eckhard-busch-stiftung.de)

Wenn Sie Selbstmord-Gedanken haben, kontaktieren Sie bitte zum Beispiel die Telefonseelsorge über die kostenlose Hotline 0800/111 0 111