Bottrop. Die Pandemie belastet zusätzlich die Seele von psychisch Erkrankten. Vier Frauen aus Bottrop mit geringem Einkommen beschreiben ihre Situation.
Die Corona-Pandemie hat psychisch Kranke in Bottrop hart getroffen. Insbesondere jene, die schon vorher in Armut gelebt haben. Die WAZ hat sich bei Intego mit Leiterin Heike Jandewerth und Klienten, die nicht Betroffene genannt werden möchten, getroffen. Vier Schicksale von vier Frauen, die mitten im Leben stehen.
Sie heißen Esther, Hanna, Michaela und Lisa. Alle vier durchleben etwas, das sich für Außenstehende kaum beschreiben lässt. „Eine psychische Erkrankung kann leicht dazu führen, dass man in eine Abstiegsspirale und Armut gerät“, sagt Esther. Wie die Frauen berichten, kann es recht harmlos anfangen. Im Freundeskreis wird gefragt, was man beruflich macht. Lautet die Antwort, dass man keinen Job hat, meldet sich zugleich das Schamgefühl. Auf die Nachfrage, warum, kann sich Druck und Stress bei den psychisch Erkrankten aufbauen. Sie müssten sich erklären oder sogar rechtfertigen. Und wie soll man einen seelischen Zustand beschreiben, den Unbetroffene womöglich nicht verstehen oder empfinden?
Klienten haben kaum Geld zum Leben
Lisa gibt zu, dass sie aus Angst vor der Wahrheit über ihre Erwerbslosigkeit kurzerhand einen Job erfunden hat. Sie musste lügen, „weil sie nicht zugeben wollte, dass sie keine Arbeit hat“. Für sie eine zusätzliche seelische Belastung. Freunde und Bekannte werden angelogen. Kaffee trinken mit Freunden fällt aus, dafür ist kein Geld da. Verreisen und shoppen gehen seit Jahren auch nicht. Der Weg führt zum Jobcenter. Schnell kann das Schubladendenken im privaten Umfeld einsetzen, Vorurteile gegenüber den Erkrankten wachsen. Man wird sozial geächtet. Im schlimmsten Fall isolieren sich die Klienten immer mehr von ihrer Außenwelt. Lisa nennt es eine „Spirale der Ausgrenzung“.
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Die Klienten leben vom Hartz-4-Regelsatz. „Das Geld reicht zum Überleben, aber nicht zum Leben“, sagt Hanna. „Wir haben ein riesiges Netzwerk von Menschen, die uns helfen“, so Heike Jandewerth. Die meisten Klienten haben lediglich Geld, um über die Runden zu kommen. „Ein Fahrrad wird zum Heiligtum“, sagt die Intego-Leiterin.
Psychisch Erkrankte wollen einen Beruf
Dabei sind die psychisch Kranken nicht arbeitsscheu. Ganz im Gegenteil. Es ist ein Kampf gegen eine Vorverurteilung. Heike Jandewerth erklärt: „Die Menschen würden liebend gerne arbeiten.“ Arbeit sei so wichtig für die eigene Identität und für das Selbstwertgefühl. Allerdings muss Rücksicht auf ihren seelischen Zustand genommen werden.
Traumata, Depressionen, soziale Ängste oder private Schicksalsschläge können hierfür Auslöser gewesen sein. Häufig erlebt Jandewerth, dass Menschen sich nicht vorstellen können, selbst zu erkranken. Bis es doch passiert. Wenn ein Mensch immer wieder dieselben negativen Erfahrungen macht, gibt die Psyche irgendwann auf. „Die Schwelle ist bei jedem anders“, sagt sie. Als aktuelles Beispiel nennt sie die Pandemie.
22 Mitarbeiter kümmern sich um 160 Klienten
„Ich könnte mir vorstellen, dass viele Menschen erkranken werden.“ Zu den seelischen Problemen gesellen sich fehlende Perspektiven. Die Leute wissen nicht mehr, wie es weitergeht. „Das haben wir erlebt“, sagt Jandewerth über Aufgaben in der Pandemie. Es habe Anrufe gegeben, in denen die Anrufer ihre Existenzangst beschrieben und einen Suizid angekündigt hätten.
Weitere Informationen zu Intego
Die Firma hat ihren Sitz in Oberhausen. 2008 hat die Intego gGmbH das operative Geschäft übernommen und fungiert als alleiniger Gesellschafter. Intego leistet nach eigenen Angaben eine umfassende psychosoziale Beratung und begleitet Menschen mit einer psychischen, in einzelnen Fällen auch einer geistigen oder körperlichen Behinderung.
Intego ist gemeinsam mit anderen Trägern der freien Wohlfahrtspflege Teil eines umfassenden Netzwerkes für die psychosoziale Betreuung in Bottrop und Oberhausen. Seit 2013 wird in Bottrop im Auftrag der Eingliederungshilfe und der Krankenkassen gearbeitet.
In der Pandemie durften wenige bis gar keine Gruppenangebote gemacht werden. Normalerweise kümmern sich die 22 Mitarbeiter bei Intego um bis zu 160 Klienten in Bottrop. Das Team um Heike Jandewerth kam trotz Lockdown und nach Vorgaben der Corona-Schutzverordnung seinem Versorgungsauftrag nach. Als die Angebote ab Anfang Juni wieder vor Ort im Torhaus an der Rheinstahlstraße stattfinden konnten, flossen bei manchen Klienten die Tränen. „Vor Erleichterung“, sagt die Leiterin.
Klientin schöpft neuen Lebensmut
„Ich fühle mich hier Zuhause“, sagt Michaela über Intego. Es ist ein geschützter Raum. Die Klienten müssen keine Angst haben, irgendetwas von sich preiszugeben. Denn sie können darauf vertrauen, dass sie in diesem Freundeskreis unter Gleichgesinnten sind. Michaela ist glücklich über die Treffen und den Austausch. „Ich habe das Gefühl, dass ich jemand bin“, sagt sie. „Hier bin ich Michaela“.
Sie beschreibt sich eigentlich als eine Person, die sich eher zurückzieht. Aber dank Intego traut sie sich nun viel mehr zu. Die Gespräche haben sie dermaßen gestärkt, dass sie wieder ihren Lebensmut gefunden hat.