Bonn. Das Haus der Geschichte in Bonn lädt zum Hören ein: der Museumspodcast Zeitgeschichte(n). Vom neuen Boom für die Ohren.
Er ist grau, ein bisschen porös, unscheinbar: ein kleiner Stein für den Menschen, aber ein großer für die Menschheit „Die Geschichte dahinter, die ist einfach faszinierend“, schwärmt Meike Rosenplänter vom Mondgestein. Die Radio-Moderatorin ist nun auch Sprecherin eines Podcasts für das „Haus der Geschichte“, das genau genommen nicht nur ein Haus ist. Neben dem Museum in Bonn zählen zu der Stiftung das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig und in Berlin das Museum in der Kulturbrauerei sowie der Tränenpalast am ehemaligen Grenzübergangsbahnhof „Friedrichstraße“.
Die Moderatorin lässt zusammen zum Beispiel mit Historikerinnen die Ausstellungsstücke vor dem inneren Auge der Zuhörer Form annehmen und schildert so im Museumspodcast „Zeitgeschichte(n)“ – nicht zu verwechseln mit dem ähnlich klingenden NDR-Angebot. So erzählt Rosenplänter von der sehr langen Reise dieses unscheinbaren, 285 Gramm leichten Steins im Jahr 1969: vom Mond auf die Erde.
„Das ist ein Stück, das sehr gut bewacht ist, in unserer Ausstellung“, verrät die wissenschaftliche Mitarbeiterin Tuya Roth. Schließlich ist diese Leihgabe der Nasa unbezahlbar. Das Mondgestein symbolisiert die Raumfahrt-Begeisterung. Damals befeuert durch den Gedanken: „Wer den Weltraum beherrscht, der beherrscht auch die Erde.“
Digitalschub schon lange bewältigt
Lange bevor auch nur ein Mensch daran gedacht hat, dass eine weltweite Corona-Pandemie mal ein Eintrag in die Geschichtsbücher werden könnte, hat sich die Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ bereits selbst digital angeschoben und schließlich 2017 eine eigene Abteilung geschaffen, erzählt Ruth Rosenberger, Direktorin Digitale Dienste.
„Die Nutzungsgewohnheiten von Besucherinnen und Besuchern haben sich in den letzten Jahren einfach verändert. Museen müssen, wenn sie relevant bleiben wollen, darauf reagieren“, meint die Historikerin. „Nicht mit den Inhalten, die sie präsentieren, sondern vor allem mit den Formaten, wie sie diese Inhalte aufbereiten.“
Die Geschichte Deutschlands wird lebendig
Die vielen Posts in den Sozialen Medien, Videos über Lieblingsausstellungsstücke auf Youtube sind da nur der Anfang. Spannend ist etwa Lemo – das Lebendige Museum. Ob Kaiserreich, Weimarer Republik, Zweiter Weltkrieg oder Geteiltes Deutschland: Mit Text, Bild und Video wird die Geschichte Deutschlands lebendig.
„Wir wissen, dass Lemo insbesondere von Schülerinnen und Schülern viel genutzt wird“, sagt die 47-Jährige. Bei Lemo gibt es auch ein Archiv von Ausstellungsstücken, darunter ist eine Twiggy-Puppe – das Mager-Mannequin steht für das Frauenbild der 1960er. Teils werden die Stücke in einer 360-Grad-Ansicht gezeigt. Rosenberger: „Im Museum kann man sich Objekte nicht immer von allen Seiten angucken, im Netz schon.“
Scharfe Debatten im Bundestag
Das Haus der Geschichte pflegt zudem das Zeitzeugen-Portal mit rund 1000 Interviews. Da erzählt etwa Altkanzler Helmut Schmidt mit Mentholzigarette in der Hand von den scharfen politischen Debatten in der frühen Bundesrepublik und kritisiert, dass im Fernsehen mehr Talkshows als Bundestagsdebatten gezeigt würden.
Die in Essen geborene FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher berichtet von ihrem Kampf für Gleichberechtigung in den 1950er Jahren. Und die Schauspielerin Barbara Rütting erzählt von ihrer „ersten Aktion als böses Mädchen“, wie sie sich am Tor des Pharmakonzerns Schering anketten ließ, um damit gegen Tierversuche zu protestieren.
Aber auch nicht-prominente Menschen, die noch unter uns weilen, erzählen ihre Geschichten. „Wir hatten für November letzten Jahres eine große Zeitzeugen-Aktion in Heinsberg geplant“, sagt Rosenberger. Mit dem mobilen Studio wollten sie Corona-Zeitzeugen interviewen. „Da hat uns der zweite Lockdown einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber das Projekt ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.“
Das Museum ist derzeit geschlossen, aber den „Weg der Demokratie“ kann man trotzdem beschreiten: „60 Orte, die maßgeblich dazu beigetragen haben, wie sich unsere Demokratie hier in Bonn entwickelt hat“, so Rosenberger. Auch mit dem Smartphone in der Hand kann man einen Blick auf den einstigen Bundestag werfen oder das Bundesbüdchen – inoffizieller Treffpunkt für Politiker und Journalisten.
Mit dem Bulli in die Freiheit
In der Krise hat das Museum nun die Idee eines Podcasts umgesetzt. Die erste Folge handelt von einem bunten VW-Bulli, bemalt mit Blumen und Regenbogen. Er symbolisiert die Aufbruchstimmung in den 1960er Jahren, Reiselust, Rebellion auf Rädern. Immer wird ein Ausstellungsstück in den Blick genommen – und die Geschichte dahinter erklärt, wie die von der Gebetskette, die Enver Şimşek gehörte. Der Blumenhändler wurde im Jahr 2000 in Nürnberg erschossen. Er ist das erste Opfer der rechtsextremen Terrororganisation „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU).
Auch eine Videokamera wird beleuchtet. Mit ihr filmte Siegbert Schefke 1989 die Demos in Leipzig. Die Aufnahmen wurden im Westfernsehen ausgestrahlt, das sich wiederum die Menschen im Osten anschauten und so erkannten, wie viele für eine friedliche Revolution auf die Straße gingen. Die Macht der Bilder…
Reichen die Bilder, die beim Podcast im Kopf der Zuhörer entstehen? „Ich denke, es gibt eine Hinwendung zum Audio“, sagt Ruth Rosenberger und spielt damit nicht nur auf das generell wachsende Podcast-Angebot an, sondern auch auf die Clubhouse-App.
Immer wieder dienstags ist eine neue Folge „Zeitgeschichte(n)“ abrufbar – auf der Internetseite oder etwa bei Spotify. Auch sonst bleibt es hinter den geschlossenen Museumstüren rege. Schließlich wird man, wenn Corona irgendwann Geschichte ist, auch die Zeit der Pandemie erklären müssen – und das wiederum anhand von Ausstellungsstücken, die auf den ersten Blick genauso unscheinbar wirken wie ein kleiner Stein vom Mond.
So würde das Museum bereits sammeln, erklärt Rosenberger: eine leere Impfstoff-Ampulle, Fotos von Menschen mit Masken in der Fußgängerzone oder Eintrittskarten für Konzerte oder Theaterabende, die niemals stattgefunden haben. „Es gibt auch den Bierkranz von der Karnevalssitzung in Heinsberg, bei der wahrscheinlich das Corona-Virus in der Örtlichkeit verbreitet wurde.“
Das digitale Museum: hdg.de