Essen. Im Interview findet Max Mutzke klare Worte für Verschwörungstheoretiker. Er hat während der Pandemie viel über sich selbst gelernt.
Max Mutzke hat das geschafft, was viele andere Musiker nicht geschafft haben – der Schwarzwälder hat sich nach dem Sieg bei einer Castingshow im Musikgeschäft gehalten und ist nicht in der Versenkung verschwunden. Der 40-Jährige wurde 2004 von Stefan Raab für den Eurovision Song Contest entdeckt und setzte sich mit „Can’t Wait Until Tonight“ an die Spitze der Charts. Im September erschien sein 8. Album „Wunschlos süchtig“. Warum die Platte in Luftpolsterfolie eingepackt ist, was ihn an deutschen Radiosendern ärgert und wie gefährlich Querdenker sind, darüber sprach Max Mutzke mit Kirsten Gnoth.
Das neue Album trägt den Titel „Wunschlos süchtig“. Nach was sind Sie wunschlos süchtig?
Max Mutzke: Mir ist gerade in der Pandemie aufgefallen, dass es so viele Künstler und Künstlerinnen gab, die keine Konzerte geben durften. Und viele hätten diese Konzerte gebraucht, um ihre Miete bezahlen zu können. Das war natürlich auch in anderen Branchen der Fall. Mir war von Anfang an bewusst, dass es viele Menschen so hart trifft. Ich habe das große Glück, im Schwarzwald leben zu dürfen, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Wir haben hier ein süßes Häuschen auf 1000 Metern Höhe. Wir haben ein tolles soziales Umfeld und außerdem konnte ich von Rücklagen leben. Ich bin im Mai 40 Jahre geworden und habe gemerkt, dass ich überhaupt keine Wünsche habe. Ich war total wunschlos und das in der ganzen schlimmen Situation. Und dieses Gefühl kann auch süchtig machen. Allerdings sind dieser Zustand und dieses Gefühl sehr fragil. Ein schlimmer Anruf, eine schlimme Diagnose beim Arzt, ein Unfall auf der Autobahn und all dieses Wunschlose ist zu Ende. Ich wollte dieser Zeit eine Hommage widmen und habe das Album so genannt.
Wie haben Sie die Pandemie erlebt?
Vor der Pandemie habe ich mehr in Hotels geschlafen als zu Hause – ich war unglaublich viel unterwegs. Und dann kam plötzlich der Reflex wie bei einem Schüler, der denkt: „Ach krass, wir haben schulfrei. Wie cool ist das denn.“ Ich habe erst nicht gemerkt, welche Tragweite das hat. Aber es wurde nicht besser, sondern immer schlechter. In dem Moment war ich so dankbar für das Umfeld, was ich habe. Ich wusste aber auch, dass man das nicht zu laut sagen darf.
Die Songs sind sehr persönlich. Was haben Sie in der Pandemiezeit über sich selbst gelernt?
Ich habe ganz glücklich festgestellt, dass sich die meisten Menschen in meinem Umfeld auf Fakten beziehen. Sie sehen seriöse Medien als Maßstab, Ratgeber und Hinweis. Wissenschaftliche Fakten spielen in unserem Leben eine große Rolle. Wir haben uns impfen lassen, Masken getragen und Abstände eingehalten. Ich habe für mich gelernt, dass ich auf die Wissenschaft hören kann. Ich bin ja auch Kind eines Arztes, mein Papa ist Schulmediziner. In der Gesellschaft gab es viel Dynamik, die ich sehr als sehr bedrohlich empfinde. Und tatsächlich gab es in meiner näheren Umgebung auch Menschen, die diesen kruden Verschwörungstheorien aufgesessen sind. Diese Spirale ist einfach erschreckend.
Jetzt gibt es ja auch Kollegen und Kolleginnen von Ihnen, die in diese Schiene abgedriftet sind. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Ich empfinde das als ganz gefährlich, weil Künstlerinnen und Künstler die Chance haben, sich ganz einfach über Social-Media-Kanäle oder auf der Bühne Gehör zu verschaffen. Ein Beispiel: Wenn jemand auf ein Herbert-Grönemeyer-Konzert geht und er auf der Bühne über ein buntes, offenes Deutschland und offene Herzen spricht – was wir übrigens alle tun – dann nimmt der Zuhörer oder die Zuhörerin diese Werte mit nach Hause. Außerdem verteidigen sie die Werte zu Hause am Küchentisch. Du hast nach einem Konzert immer diese Leuchttürme, die solche Werte mit nach Hause nehmen und in ihr Umfeld tragen.
So verbreiten sich aber auch Verschwörungstheorien.
Ja, das klappt natürlich auch mit anderen Botschaften. Manche Künstlerinnen und Künstler sind sich dieser Verantwortung vielleicht nicht bewusst oder glauben, dass ihre Verantwortung darin liegt, solche kruden Dinge zu verbreiten. Das ist einfach fahrlässig, saumäßig gefährlich und anwidernd. Das kann man auch fast nicht mehr wieder gut machen. Man muss aber auch sagen, dass diese Leute immer schon so drauf gewesen sind. Nur gibt es in der Pandemie nun die Zuhörer.
Kommen wir nochmal zum Album. Auf dem singen Sie zum ersten Mal komplett auf Deutsch. Woher kam die Entscheidung?
Ich bin das erste Mal mit Universal zusammen. Die hatten eine Umfrage in den eigenen Reihen gestartet und haben sich nach Max Mutzke erkundigt. Was dabei raus kam, hat mich total gefreut. Man empfindet mich als authentisch, ehrlich, hört mir zu und glaubt mir: Universal sagte mir dann, dass ich mein Potenzial verschwende, wenn ich nicht auf Deutsch singe. So könnten die Dinge, die ich sagen möchte, bei viel mehr Menschen ankommen. Und ich war sofort Feuer und Flamme dafür. Viele der Texte sind an Dynamiken unserer Gesellschaft angelehnt. Die Zeit war extrem inspirierend.
Sind deshalb diesmal auch keine Coversongs auf dem Album, weil Sie einfach zu viel zu sagen hatten?
Genau. Es gab eine Geschichte nach der anderen. „Dieselbe Sonne“ zum Beispiel ist für alle Verschwörungstheoretiker geschrieben, die an ganz andere Dinge glauben. Ich habe fast das Gefühl, dass man einen Fragebogen abarbeiten muss, wenn man neue Leute kennenlernt. Glaubst du, dass die Erde eine Scheibe ist? Glaubst du, dass es die Pandemie gibt? Glaubst du, dass Deutschland ein legitimer Staat ist oder die Menschen von Reptiloiden versklavt werden? Mit solchen Menschen kann ich dann einfach nicht sprechen. Wir leben zwar alle unter derselben Sonne, aber nehmen Dinge so unterschiedlich wahr.
Hatten Sie schon angefangen an dem Album zu arbeiten, bevor die Pandemie kam?
Ich bin froh, dass ich erst mit der Pandemie mit dem Album angefangen habe. Andere Künstler, die im Februar 2020 bereits veröffentlichen wollten, mussten das verschieben. Und das ist wirklich schlimm, weil sich in der langen Zeit viel ergibt und sich die Künstler weiterentwickeln. Manche Texte haben dann keine Relevanz für einen persönlich mehr.
Spannend ist auch das Cover des Albums. Es scheint in Luftpolsterfolie eingewickelt zu sein. Woher kommt die Idee?
Das ist ein wichtiges Thema für mich. Die Luftpolsterfolie kommt aus dem Repertoire eines Künstlers aus dem Schwarzwald: Stefan Strumbel, mit dem ich auch befreundet bin. Er hat seine eigenen Kunstwerke in der Folie eingepackt und sie dann gegossen. Man konnte das eigentliche Kunstwerk darunter nicht mehr erkennen, sondern nur noch erahnen. Bei einem Kunstwerk lässt sich eine Frau erahnen, die etwas in der Hand trägt. Und es lässt sich ganz viel hineininterpretieren: Maria mit ihrem Kind, eine Muslima in ihrer Burka. Wir haben uns darüber unterhalten, wie schwierig die Zeit für Künstler und Künstlerinnen ist. Heute ist man darauf angewiesen, seine Musik zu streamen – ohne das bekommt man gar keinen Deal. Da fühlt man sich echt manchmal geknebelt.
Also ist Streaming eher ein Fluch?
Streaming ist eine tolle Sache, aber es suggeriert den Menschen, dass Musik immer und überall kostenlos erhältlich und günstig in der Produktion ist. Das ist aber nicht wahr. Bis eine CD fertig ist, kostet es viel Geld. Man braucht Techniker, Studios, Fotografen, fährt Hunderte Kilometer, braucht ein Werbebudget und vieles mehr. Ich gebe Tausende von Euros aus, um einen Song auf eine Streaming-Plattform zu stellen. Aber das Geld vom Streaming kommt an den falschen Stellen an. Das ist extrem demotivierend. Die Luftpolsterfolie soll ausdrücken, wie fragil der Inhalt ist. Die Menschen sollen einfach respektvoll damit umgehen. Es ist nicht ein Album von vielen, sondern dahinter steckt viel Arbeit.
Was hätten Sie sich in der Musikbranche für die Pandemie-Zeit gewünscht?
Ich hätte mir gewünscht, die Radiosender hätten hierzulande die Künstler und Künstlerinnen bewusster unterstützt. Warum nicht mal deutlicher zeigen, wie viele tolle Künstler es hier in Deutschland gibt. Und damit in einer so schwierigen Zeit den Künstlerinnen und Künstler durch das Airplay ein paar Einnahmen zu ermöglichen.
Sie haben die Pandemie nicht nur zum Schreiben von Songs genutzt, sondern auf für ein Kinderbuch. Wie läuft es damit?
Ich habe damit schon ein bisschen angefangen, aber ich bin kein Autor und muss mich da erstmal einfuchsen. Es geht um eine Geschichte, die ich für meine Kinder erfunden habe, weil ich immer so viel unterwegs war und sie meist nur abends ins Bett bringen konnte. Eine Psychologin hat mir dann gesagt, dass es so eine tolle Idee für Elternteile ist, die ihre Kinder nur abends ins Bett bringen können.
Können Sie ein bisschen was verraten?
Eigentlich möchte ich ungern etwas verraten – auch weil ich gar nicht weiß, wo ich anfangen sollte. Ich glaube, man muss sich noch etwas gedulden. Ich kenne das auch von Alben – bis zur letzten Sekunde kann sich alles noch ändern. So kann es auch beim Kinderbuch sein.
Glauben Sie, dass Sie einfach wieder so in ein Leben mit vollem Tourplan zurückkehren können?
Die viele Zeit, die wir miteinander verbringen durften, war so wertvoll. Ich habe es sehr genossen, auch weil wir ja am Anfang der Zeit durch das Schulfrei so etwas wie Urlaub hatten. Das Homeschooling hat zu Beginn eher schlecht funktioniert und ich habe meine Kinder damit nicht unter Druck gesetzt. Ja, dann hatten sie eben manchmal schon um 10 oder 11 Uhr frei. Durch diese Zeit sind wir nochmal enger aneinandergerückt. Meine Traumvorstellung wäre, dass ich eine Woche arbeite und eine Woche frei habe – aber das ist eher unrealistisch (lacht). Ich bin jetzt wieder sehr viel unterwegs, auch um meine wirtschaftliche Situation zu retten. Aber ja, ich will nicht mehr so viel unterwegs sein und das geht vielen Künstlern und Künstlerinnen so. Es gibt sogar Leute, die aus der Szene ausgestiegen sind und nun einen ganz normalen Job haben.
Max Mutzke live:
Termine: 9.10.21 Bonn (18.30+21 Uhr, Opernhaus), 4.11.21 Leverkusen (Erholungshaus), 25.3.22 Dortmund (Warsteiner Music Hall), 18.6.22 Bonn (Opernhaus), 22.7.22, Dinslaken (Burgtheater).
Tickets gibt es ab ca. 40 €. Mehr Infos auf maxmutzke.de.