Essen. Grönemeyer wird 65: Der erfolgreichste deutsche Rocksänger, geliebt für seine Echtheit und als Stimme respektiert – Rückblick auf eine Karriere.
Die Band für Afrika, die Greenpeace-Aktionen bei seinen Konzerten, die Kampagne „Deine Stimme gegen Armut“, dazu Botschafter des Afghanischen Frauenvereins, Solidaritätskonzerte mal in Rheinhausen, mal in Dresden und die sechsstelligen Spenden für einen Jugendclub in Leipzig – das klingt alles mehr nach einem linken Aktivisten als nach dem aktuell erfolgreichsten Musiker Deutschlands (17 Millionen verkaufte Tonträger). Aber das politische Engagement gehört zum Gesamtkunstwerk Herbert Arthur Wiglev Clamor Grönemeyer dazu, zur klaren Kante, die gar nicht mal von allen seiner in die Millionen gehenden Fans geteilt wird. Er sagt gern seine Meinung, bestreitet aber, „ein öffentlich angestellter Themenverarbeiter“ zu sein.
Eine der vielen Facetten dieser echten Type aus dem Revier, die heute vor 65 Jahren in Göttingen zur Welt kam (der Vater arbeitete als Bergingenieur in Clausthal-Zellerfeld), aber zutiefst vom damals noch rußgeschwärzten Ruhrgebiet seiner Jugend geprägt wurde. Der kleine Herbert allerdings war so auffallend und ausdauernd fröhlich, dass ihn seine Eltern sogar zum Therapeuten schicken wollten; im Gymnasium am Ostring ging der notorische Frühaufsteher den anderen damit sogar auf den Keks – seine früheren Hits von „Currywurst“ über „Mambo“ und „Männer“ bis „Was soll das?!“ sind denn auch voller Witz und Humor.
Mit Claude-Oliver Rudolph ans Schauspielhaus
Der junge Lehrerliebling mit den rotblonden Haaren begriff und lernte wie der Blitz, wollte aber eigentlich gern Fußballstar werden. Nun, „gepöhlt“ hat er immer – zur Entspannung; seine größte fußballerische Leistung dürfte die Hymne zur WM 2006 gewesen sein, das fast prophetische „Zeit, dass sich was dreht“, das er zusammen mit dem aus Mali stammenden Duo Amadou & Mariam schrieb.
Mit seinem Klassenkameraden Claude-Oliver Rudolph ging Grönemeyer noch als Schüler in den 70ern ans Schauspielhaus, wo unter Peter Zadek gerade wildeste Zeiten begonnen hatten. Grönemeyer, der früh Klavierunterricht bekommen hatte, wurde dort rasch musikalischer Leiter – und in einem Beatles-Musical auch als Schauspieler entdeckt. Nach seiner Rolle als Kriegsberichterstatter Leutnant Werner im Kino-Erfolg „Das Boot“ 1981 galt er noch lange als singender Schauspieler; er selbst fühlte sich als schauspielernder Musiker. Seine ersten vier Alben floppten allerdings (das erste bekam sogar eine „Goldene Zitrone“ für das schlechteste Cover des Jahres).
Ein Über-Liebespaar mit Anna Henkel
Der Sänger wurde oft aufgefordert, verständlicher zu texten oder zu singen, weniger zu bellen, kieksen oder zu schreien – aber der sehr selbstgewisse Grönemeyer blieb bei sich. Noch heute stimmt er bei Stadion-Konzerten „Schiffsverkehr“ an, das er seit über zehn Jahren spielt und das einfach kein Hit werden will – „aber ich bin Westfale, ich bleibe stur...“ Das geht bis zu seiner Weigerung, der „Bild“-Zeitung Interviews zu geben. Oder seiner über ein Jahrzehnt währenden Unterstützung für das Bochumer Konzerthaus, das noch in der Bauphase oft abschätzig „Fiedelbude“ genannt wurde, aber in seiner gelungenen Architektur und Akustik heute ein Stolz der Stadt ist.
Wenn er rockt, was er gern und sehr gut tut und was sein Publikum sehr schätzt, ergänzen sich Musik und seine Manier der abgehackten, kurzen, nicht immer ganz rätselfreien Verszeilen irgendwo zwischen Kahlschlag-Lyrik und Reviersprech. Grönemeyer verarbeitet Erfahrungen in seinen Texten, aber oft so abstrakt und poetisiert, dass sich alle drin wiederfinden können (erst recht diejenigen, die nur die Hälfte oder alles falsch verstehen).
Durchbruch mit „4630 Bochum“, „Vollmond“ und „Kinder an die Macht"
Der Hit „Vollmond“ hieß übrigens mal „Highway To Lovers“ und „Kinder an die Macht“ anfangs „I Was Born in L.A.“: Dass er neue Songs erst tausendmal mit englischen Bananentexten vor sich hinsingt, bevor er sich dann einen deutschen Text abringt, ist unter deutschen Musikern gar nicht so selten – dass er nach dem Durchbruch mit „4630 Bochum“ (bei dem er längst in Köln wohnte) noch mit jedem der zehn folgenden Studio-Alben an der Spitze der deutschen Charts stand, dagegen unerreicht.
Er scheint ein Spezialist für Hymnen zu sein, nach „Bochum“ gelangen ihm weitere bis hin zu „Mensch“, dem Titel und dem Album, die den größten Tiefschlag seines Lebens mit seinem größten Erfolg verbinden sollten. 1998 waren innerhalb von fünf Tagen sein älterer Bruder Wilhelm und seine über alles geliebte Frau Anna Henkel an Krebs gestorben. Sie und Grönemeyer hatten sich 1978 bei den Dreharbeiten zu Jürgen Flimms Fernsehfilm „Uns reicht das nicht“ Hals über Kopf ineinander verliebt und blieben es, Herberts schwärmerischen Worten zufolge, bis zuletzt. Diese zu Herzen gehende Mischung aus Romantik, Trauer und Melancholie beflügelte Grönemeyers Beliebtheit noch einmal neu, ja vertiefte sie. „In echt“: Wenn im Konzert seine Wangen schon mal schimmern, ist das nicht immer Schweiß.
Amtierender deutscher Stadionmeister und Renteneintritt mit 89
Grönemeyer ist auch der amtierende deutsche Stadionmeister unter den deutschen Rockstars, für die Arenen von Düsseldorf und Berlin hat er die Eröffnungskonzerte gespielt. In der Schalke-Arena ließ er wissen: „Man ist doch sehr aufgeregt, wenn man wieder nach Hause kommt und denkt: Hoffentlich glauben die nicht, man sei völlig verrückt geworden!“ Aber dann singen die Leute „Oh, wie ist das schön“, und sein Kleiner-Jungen-Blick ins Stadionrund sagt: „Bor! Die sind alle wegen mir gekommen!“
So elektrisiert, wie er auf die Ovationen, die Grönemeyer-Chöre auf den Stadionrängen reagiert, scheint er nicht unerheblich viel Energie aus diesen Auftritten zu ziehen. In Zeiten, in denen der Renteneintritt immer weiter nach hinten geschoben wird, hat Herbert Grönemeyer uns schon drei Jahre vor seinem 65. wissen lassen, dass er glücklicherweise erst mit 89 zum letzten Mal auftreten möchte. Und der Mann ist stur.