Liebenswert und provokant zugleich: An ihre Begegnungen mit Roger Willemsen erinnert sich in unserem Interview die Schauspielerin Maria Schrader.

Eine Mischung aus charmantem Publikumsliebling und schwer fassbarem Außenseiter, die muss man auch erst mal können: Roger Willemsen konnte – und nachgewachsen ist ein geistiges Kaliber mit solcher Breitenwirkung nach seinem frühen Tod mit nur 60 Jahren nicht. Für unsere Zeitung erinnerte sich am heutigen fünften Todestag die große Schauspielerin Maria Schrader an ihren hochgeschätzten künstlerischen Weggefährten. Lars von der Gönna sprach mit ihr.

Sie kannten Roger Willemsen über viele Jahre. Gibt es die eine Erinnerung, die besonders charakteristisch für diesen Menschen ist?

Maria Schrader
Maria Schrader © FFS | rALF rOTTMANN

Maria Schrader: Ganz lebendig ist bis heute die Erinnerung daran, mit ihm auf der Bühne zu sein. Wie kaum ein Schauspieler schien er auf der Bühne vollkommen angstfrei zu sein und zu jeder Improvisation bereit. Wir waren beide jedes Jahr Gast auf der Lit.Cologne. Roger ist jemand gewesen, der jeden Moment, jede Begegnung zu feiern schien, der immer ein bisschen mehr Energie und Aufmerksamkeit aufbrachte, egal ob auf der Bühne, am Tisch oder zwischen Tür und Angel. Roger war wie ein hochtouriger Motor, und allen um ihn herum flogen die Haare in seinem Fahrtwind.

Roger Willemsen erschien vielen als überragender Wahrnehmungsmensch, lieferte Beschreibungen unserer Welt, die präzise und poetisch zugleich sein konnten.

Ja, auch mich hat er ein paar Mal sozusagen angestiftet, bestimmte Erlebnisse in Worte zu fassen, von denen ich dachte: „Ach, das würde ich gerne Roger erzählen“. Seine Art mit Sprache umzugehen, vermeintlich kleine Ereignisse in seiner Form erzählerisch zu etwas Besonderem zu machen, das war inspirierend für mich. Er war jemand, der mich nicht nur in unmittelbarer Präsenz sondern auch in Gedanken an ihn dazu brachte, genauer hinzuschauen, zu reflektieren, Dinge anders zu sehen als ich es gewöhnt war.

Es könnte einem auch umgekehrt gegangen sein: Willemsens analytische Schärfe, umfassende Bildung und rhetorische Brillanz konnten einschüchternd wirken…

Ja, klar, aber das kann man ihm ja nicht vorwerfen. Natürlich gibt es auch Leute, die ihre Eloquenz dazu benutzen, andere Menschen bewusst einzuschüchtern oder einen persönlichen Triumph davon zu tragen. Das war nicht Rogers Naturell. Dazu war er zu selbstreflektiert, zu neugierig und zu interessiert an anderen Menschen und wahrhaften Begegnungen. Er konnte sich sehr gut auf verschiedenste Leute und Situationen einzustellen, sonst hätte er auch nicht solche Reisen unternommen, in denen er sich oft möglichst ungeschützt in die Fremde gestürzt hat. Vielleicht kann ich es so beschreiben: In Gesprächen saß Roger selten mit übergeschlagenen Beinen zurückgelehnt im Stuhl. Eher auf der Kante, nach vorn gebeugt, zugewandt, und auch in seinen Provokationen am Ende menschenfreundlich.

Und doch hat er Menschen gezielt auf die Palme zu bringen verstanden. Seine vernichtenden Seitenhiebe auf Heidi Klums Magerparade („Exzess der Nichtigkeiten“) haben Mediengeschichte geschrieben. Mochte er nicht auch das Zündeln?

Aber ja! Ich glaube, er hat auch das als seinen Auftrag empfunden: Dialoge zu erzeugen, eine Streitkultur zu pflegen, Konflikte in einer radikalen Form zu benennen. Aber das war nie ohne Ziel. Es ging immer darum, etwas zu bewegen, eine Diskussion anzustoßen.

Ein Intellektueller, der es zu einer Art Fernsehstar bringt, das ist in Deutschland ja nun nicht an der Tagesordnung. Und dann wendet sich Roger Willemsen komplett vom Fernsehen ab. Hat Sie diese Häutung überrascht?

Er hat ja selbst viel darüber geschrieben, was dieses Medium angreifbar macht. Ich würde positiv sagen: Roger verkörperte in seiner Lust aufs Universale etwas, was wir eigentlich nur aus vergangenen Jahrhunderten kennen: jemand, der Wissenschaft betreibt und zugleich ein begnadeter Erzähler ist und noch vieles mehr. Wie er Disziplinen von der Musik bis zur Politik miteinander zu verbinden wusste, wie er die Welt als Ganzes wahrnahm, vielleicht war das Fernsehen auf Dauer dafür doch ein zu enger Rahmen.

Haben Sie auch diesen Zug listigen Münchhausen in ihm gekannt? Ich habe Roger Willemsen anlässlich seiner Wiederentdeckung von „Brehms Tierleben“ interviewt und wie er so lächelnd von seiner Schildkröte plauderte, kam ich mir angenehm beflunkert vor…

Ich weiß, was Sie meinen: Dass es eine große Lust am Fabulieren gab, darüber sind wir uns sicher einig; das kann bei vielen Leuten anstrengend sein, besonders, wenn sie nichts Interessantes zu erzählen haben. Roger hat viele Fragen gestellt, mit ihm war es immer ein Dialog, ein gemeinsamer Spaziergang durch verschiedenste Themen. Zur Existenz der Schildkröte kann ich Ihnen leider nichts sagen – ich war nie bei ihm zu Hause. (lacht herzlich)

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DAS CD-PROJEKT

Als Vermächtnis ist Roger Willemsens Projekt „Landschaften“ bald nach seinem Tod in die Kulturszene gelangt. Mit Franziska Hölscher (Geige) und Marianna Shirinyan (Klavier) hatte Willemsen den Kammermusikabend, in den seine eigenen Reisebeschreibungen von Rügen bis Bayern eingebettet waren, nur einmal aufführen können.

Seither ist Maria Schrader als Rezitatorin an seine Willemsens getreten und gibt dem Anliegen, „Landschaften persönlich zu nehmen“, ihre Stimme. Zum fünften Todestag ist „Landschaften“ (Zweitausendeins/Deutschlandradio) mit Willemsens Texten und Musik von Bach bis Gershwin nun als CD erschienen.