Essen. . Roger Willemsen ist tot. Am Sonntag ist der Publizist und Moderator, der Intelligenz, Charme und Tempo zu einer einzigartigen Mischung verband, den Folgen seiner Krebserkrankung erlegen.

Roger Willemsen gehörte zu den wenigen Schnellsprechern, die noch schneller denken als reden können. Und er war einer der wenigen Intellektuellen in Deutschland, die den Marktplatz mindestens so sehr lieben wie ihr Studierstübchen. Darum diente die Frankfurter Buchmesse stets als Hochamt im Jahr des Roger Willemsen, weil er hier eine Woche lang im Rampenlicht stehen konnte und seiner Eitelkeit frönen, für die er anders als andere gute Gründe hatte. Als Willemsen im August vergangenen Jahres all seine Buchmessen-Termine absagte, wurde auf einen Schlag klar, wie ernst es um seine Gesundheit stand. Am Sonntag ist der Publizist und Moderator, der Intelligenz, Charme und Tempo zu einer einzigartigen Mischung verband, zu Hause in der Nähe von Hamburg den Folgen seiner Krebserkrankung erlegen.

Willemsen, 1955 als Sohn eines Restaurators und einer Kunstsachverständigen in Bonn geboren und aufgewachsen, hatte Bildung mit der Muttermilch aufgesogen. Doch die Universitätskarriere reizte ihn, der mit einer hochspezialisierten Studie zu Robert Musik promoviert wurde, wie manches nur eine gewisse Weile. Seine grenzensprengende Habilitationsschrift über Selbstmord in der Literatur machte er lieber zu einem lesbaren Buch als sich den akademischen Laufbahnzwängen zu unterwerfen.

Auch interessant

So begann die wahre Karriere des Roger Willemsen, in deren Verlauf er der Geschichte der Kunstform Interview ein großes Kapitel hinzufügen sollte, als er 1991 bei Premiere im TV anheuerte. „0137“ hieß die Sendung, nach der gebührenpflichtigen Telefonnummer, mit der sich Zuschauer einschalten konnten; Willemsen zeigte, dass ein guter Interviewer das Licht, das interessante Menschen ausstrahlen, durch kluge Fragen verdoppelt anstatt sich darin zu sonnen – von Audrey Hepburn bis Jassir Arafat, von Madonna bis zum Dalai Lama. Zum Prominenten, der dann im Laufe der Jahre mehr und mehr selbst zum Interview-Partner aufstieg, wurde er mit seiner vier Jahre ausgestrahlten Sendereihe „Willemsens Woche“; sie verhalf auch seinem guten Freund, dem Jazzpianisten Michel Petrucciani, zu Ruhm.

Lebenslustiger Junggeselle

Willemsen wusste, dass die Begriffen, mit denen er am meisten gegoogelt wurde, „privat, schwul, Freundin, verheiratet“ lauteten – und machte nicht ein Hehl daraus, ein lebenslustiger Junggeselle zu sein, der es zwischendurch auch mal auf vier Jahre Dauerbeziehung brachte. Willemsen wusste auch nur zu gut um seine Wirkung – und vermied die Überdosis, wechselte die Genres und Bühnen wie kaum ein zweiter. Er drehte Filme, er moderierte den Schweizer „Literaturclub“, er schrieb ein Buch nach dem anderen, das sich blendend verkaufte: Reisebände wie „Die Enden der Welt“ oder „Afghanische Reise“, esprit-geladene Kulturgeschichten wie „Der Knacks“ oder „Momentum“, einen politischen Bestseller wie „Das Hohe Haus“ über den Bundestag und führte mit Dieter Hildebrandt auf den Bühnen der Republik die „Weltgeschichte der Lüge“ auf.

„Um ehrlich zu sein, die Wahrheit wird überschätzt“, sage er gern mit dem für ihn typischen Verbalzwinkern. Ob er denn sich selbst gegenüber ehrlich sei, musste er sich daraufhin fragen lassen – „Gott schütze mich vor der Aufdeckung meiner Lebenslügen!“, lautete seine Antwort, „ich muss noch eine Weile mit ihnen auskommen.“

Leider war die Weile denn doch zu kurz, für ihn wie für uns, sein Publikum.