Hamburg/Essen. Extrem teuer, zeitweise in Frage gestellt. Aber seit fünf Jahren zeigt sich Hamburg stolz auf die Elbphilharmonie. Alles bestens am Kaiserkai?

Die Welt kann so einfach sein – solange sie uns von Boulevardzeitungen erklärt wird. „Früher Mio.-Grab, heute Touri-Magnet“ titelt die „Bild“ ihren Glückwunsch. Er gilt dem fünften Geburtstag der Elbphilharmonie zu Hamburg. Die Schlagzeile ist von einer kaum widerlegbaren Unangreifbarkeit; zu schade nur, dass Musik in ihr nicht vorkommt.

Musik. Ausgerechnet sie allerdings ist ja das Zentrum jener Institution, die dem heutigen Kanzler in nicht geringen Teilen ihre Fertigstellung 2017 verdankte (die „Elphi“ war praktisch Olaf Scholz’ große Sturmflut). Doch bis heute wollen Stimmen nicht schweigen, die dem großen architektonischen Wurf, gekrönt von einer enorm attraktiven und den „Michel“ an Popularität bald überwuchert habenden Außensilhouette gerade im Akustischen allenfalls ordentliches Mittelmaß attestieren.

„Bloß keine zweite Elphi!“

Darunter sind solche, die zwischen den irdischen Austragungsorten der Klassik weit gereist sind, also wohl nicht gänzlich der Urteilskraft entbehren. Riccardo Muti etwa kam früh – und dann nie wieder. „Ein mittelmäßiger Saal. Dort vergeude ich nicht meine Zeit!“, sprach der Stardirigent. Als Jonas Kaufmann es 2019 wagte, dem Raum Defizite vorzuwerfen, gab der verantwortliche Akustiker Yasuhisa Toyota dem Tenor die Schuld: „zu wenig Erfahrung mit der Elbphilharmonie“. Manuel Brug („Die Welt“), immer für einen rhetorischen Knallfrosch gut, taufte das Innere des teuersten deutschen Konzerthauses scharfrichterlich „Tonthermomixer im Hafenwasserbad“. Am Nachbesserungsbedarf hatte der Musikkritiker nicht die geringsten Zweifel.

Das freilich geht nicht immer so einfach und (für elbphilharmonische Verhältnisse) schnäppchenartig wie letztes Jahr bei der Orgel. Die wurde für schlappe 125.000 Euro geputzt, fast 5000 Pfeifen mit Pinsel und Sauggerät. Das geschah zwar auch zehn Jahre vor dem üblichen Turnus. Aber was soll man machen?! Damals, beim Endspurt, da wollte man halt schnell viel schaffen, wenn nicht gar alles – und da ist der Klais-Orgel vom Rest der wummernden Baustelle tüchtig viel Dreck in die Röhren…

Sowas sind i-Tüpfelchen auf einer Katastrophen-Chronik. Mehr Unvergessliches macht aus: Aus 77 Millionen Euro für den Neubau der Architekten Herzog und de Meuron auf Kaispeicher A werden weit über 860; zwischen Grundsteinlegung und Eröffnung vergehen nahezu zehn Jahre. Es gibt Prozesse, Fehden, Intrigen. Das hat das kulturelle Bauen in Europa so geprägt wie den Rest öffentlicher Gebäude-Errichteter Berlins Flughafen-Desaster. Mit „Bloß keine zweite Elphi!“ jedenfalls sollen seinerzeit die Planungen um einen längst fälligen neuen Konzertbau in München begonnen haben. Ausgerechnet das fesche München, wo es doch eigentlich immer die Hamburger gewesen waren, die den Pelz innen trugen...

Statt „Cats“ jetzt mal ins „Magnificat“

Das alles ist im immer noch pracht- und prunkvollen Konzertalltag des Hauses ohne Nachhall. Viele Veranstaltungen sind früh ausverkauft, „man“ geht in die Elphi, was gespielt wird (das war bei Hamburgs ehrwürdiger alter Musikhalle am Johannes-Brahms-Platz selten der Fall) wiegt weniger schwer als die Tatsache, dort zu sein.

Ein Konzertsaal als „Place to be“: Ist das nicht die beste Nachricht überhaupt? Zumindest relativiert sie manches. Noch vor Jahren gestattete sich ein durchreisender Musiker, den Slogan des Dortmunder Konzerthauses „So klingt nur Dortmund“ aufs Publikum zu münzen, das (seiner Meinung nach kenntnisfrei) mitunter zwischen einzelnen Sätzen klatschte. Neuerdings geschieht das auch in Hamburg. Wer will sagen, ob der Touristenstrom von „Cats“ auf „Magnificat“ hat umgelenkt werden können?

„Ischa auch man schön, sonntachs so ‘ne Konfirmadschoons-Sinfonie!“ Kein Fake. Der Autor dieser Zeilen vernahm diese Einordnung unlängst in Hamburg nach Mendelssohn-Bartholdys Reformationssinfonie. Oder um es mit dem Intendanten zu sagen: „Die Kernaufgabe der Elbphilharmonie – Erweiterung des Publikums für klassische Musik – ist absolut erfüllt“, so Christoph Lieben-Seutter.

Fünf Jahre nach der Eröffnung sind die zwei in Sachen Musik amtierenden Wahl-Hanseaten und gebürtigen US-Amerikaner voll ungetrübten Stolzes: Kent Nagano (Chef der Staatsoper und ihres Orchesters) verriet: „Auch meine Mutter liebt die Elbphilharmonie“. Das teilt die alte Dame mit Alan Gilbert, Chef der NDR-Elbphilharmoniker.

Aufs Ganze gesehen hat der Wunderbau wohl mehr Menschen glücklich als wütend gemacht. Die Elbphilharmonie hat (überraschend genug im 21. Jahrhundert) einem Ort für Beethoven und Brahms den Status eines Wahrzeichens beschert. Mag es in den berühmten Sälen Amsterdams, Basels oder Wiens auch intimer, wärmer, feiner klingen: Die Elphi hat den Rang eines Monuments erreicht – für welche Werte es wirklich steht werden Kulturgeschichtler vielleicht zum 50. zu erzählen wissen.

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Heutiger Kanzler machte das Projekt zur Chefsache

Als Hamburgs Regierender Bürgermeister machte Olaf Scholz (SPD) die Fertigstellung der Elbphilharmonie ab 2011 zur Chefsache. Zuvor hatte ein anderthalbjähriger öffentlicher Baustopp das 2007 von Hamburgs Bürgerschaft unter Ole von Beust beschlossene Projekt lahmgelegt.

Bis zur Corona-Sperre im März 2020 haben 2,7 Millionen Konzertbesucher knapp 2500 Konzerte dort erlebt. Mit 1,2 Millionen Besuchern pro Jahr in der Elbphilharmonie und der alten, 1908 eröffneten Musikhalle hat sich das Konzertpublikum in Hamburg nahezu verdreifacht. Der historische Bau war übrigens einst der modernste Konzertsaal des Kontinents.

Die Elphi-Plaza, die Aussichtsplattform in 37 Metern Höhe, erwartet im März ihren fünfzehnmillionsten Besucher.