Hamburg. Ist die Elbphilharmonie dabei, ihren guten Ruf zu verlieren? Ein Konzert von Jonas Kaufmann erhitzt die Gemüter und bestätigt, dass es doch darauf ankommt, wo man sitzt - und was gespielt wird.
Dass die Elbphilharmonie eine besondere Akustik hat, ist seit zwei Jahren weltbekannt. Die meisten Kritiker und Musiker stellen dem neuen Konzerthaus ein positives Zeugnis aus und schwärmen vom "glasklaren Klang" und der "Transparenz".
Das hat jedoch auch den Nachteil, dass der Saal keine Fehler verzeiht. Wenn ein Musiker oder Sänger den Ton nicht genau trifft, dann fällt das auf. Auch die Geräusche im Zuschauerraum sind nur allzu gut zu hören; husten oder rascheln sollte man unbedingt vermeiden. Diese Problematik hat bei einem Konzert von Startenor Jonas Kaufmann beinahe einen Eklat ausgelöst - und die Diskussion über die Akustik neu entfacht.
Während des Konzerts hatten Zuhörer, die hinter dem Orchester saßen, den Platz gewechselt, weil sie den Sänger nicht hörten, oder "Hier hört man auch nichts" gerufen. Nach seinem Auftritt kritisierte Kaufmann die Akustik im Saal. "Sein Klang hat auch mit der Materialwahl zu tun, die mich am Anfang sehr verstört hat", sagte der Sänger dem "Hamburger Abendblatt". "Mit Holz gäbe es einen wärmeren, weichen Klang. Das ist eine Krux, mit der Hamburg nun wohl leben muss", meinte der Tenor, der sich nun vorstellen kann, den nächsten Hamburger Liederabend in der Laeiszhalle zu geben - diese ist nicht nach dem Weinberg-Prinzip, sondern wie eine Schuhschachtel gebaut.
Kritiker bemängeln schon länger, dass Besucher - entgegen den Versprechungen von Akustiker Yasuhisa Toyota - längst nicht auf allen Plätzen gleich gut hören können. "Endlich sagt es mal einer laut", schrieb Manuel Brug von der Tageszeitung "Die Welt", der beim Eröffnungskonzert hinter dem Orchester gesessen hatte. "Hype um geniale Akustik in der Elbphilharmonie bröckelt", schrieb einer von zahlreichen aufgebrachten Lesern an das "Hamburger Abendblatt". Eine andere Besucherin, die sich bei Konzerten von Schlagzeuger Martin Grubinger und Cellist Yo-Yo Ma noch über den "wunderbaren Klang" gefreut hat, zeigte nun Verständnis dafür, dass verärgerte Zuhörer den Saal verließen. "Die Elbphilharmonie ist dabei, ihren Ruf zu verlieren", schrieb sie.
Für Burkhard Glashoff vom Konzertveranstalter ProArte ist die Elbphilharmonie "eine sehr sensible Dame". "Die Akustik der Elbphilharmonie ist nicht über Nacht schlechter geworden, sie ist nach wie vor ganz hervorragend", sagte Glashoff dem Sender NDR 90,3. Das Programm, der sinfonische Liederzyklus "Das Lied von der Erde" von Gustav Mahler, sei für Jonas Kaufmann jedoch eher ungewöhnlich gewesen, das habe einige Kaufmann-Fans sicherlich irritiert. Dazu komme, dass bei einem sehr groß besetzten Orchester-Werk eine Schwäche der Elbphilharmonie deutlich werde: dass nämlich auf den Plätzen hinter der Bühne Gesangsdarbietungen schlechter zu hören sind als im Parkett.
Diese Problematik ist auch Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter bekannt. "Überall in der Elbphilharmonie hört man gut. Es liegt aber in der Natur von Weinberg-Sälen, dass die Plätze direkt hinter dem Orchester bei Gesangsdarbietungen akustisch benachteiligt sind, da die menschliche Stimme einen sehr gerichteten Schall abgibt", sagte Lieben-Seutter. Unter den rund 800 Konzerten im Großen Saal habe es in den vergangenen zwei Jahren unzählige Höhepunkte und nur eine Handvoll Problemfälle gegeben. Über bauliche Veränderungen werde daher auch nicht nachgedacht. "Wir sind bereits seit längerem mit Veranstaltern im Gespräch darüber, bei Lieder- und Arienabenden einen alternativen Saalplan zu verwenden, da die Ticketpreise direkt hinter der Bühne verglichen mit ähnlichen Sälen relativ hoch sind."