Essen. Avantgarde-Dichterin, wie sie im Buch steht: Am Freitag ist die Autorin Friederike Mayröcker in ihrer Heimatstadt Wien mit 96 Jahren gestorben.
Den Tod ihres „Hand- und Herz- und Liebesgefährten“ Ernst Jandl, mit dem sie seit 1954 befreundet war, hat Friederike Mayröcker jahrelang vorweggenommen, sich vorgestellt, ihn tot zu finden, und es war im „Requiem für Ernst Jandl“ der Schmerz darüber, der ihr bezeugte, am Leben zu sein. Es war mit dem Tod Jandls im Jahr 2000 zum Überleben geworden, das nun am Freitag, 96 Jahre nach ihrer Geburt, ein Ende gefunden hat.
Friederike Mayröcker lebte und schrieb im Bewusstseinsstrom, dazwischen war nur die enorme poetische Energie, die sie eigentlich erst entfalten konnte, nachdem sie aus dem Brotberuf der Englischlehrerin an Hauptschulen, den sie 23 Jahre lang ausgeübt hatte, in die freie Schriftstellerei gewechselt war.
Tiel der „Wiener Gruppe“ um H.C. Artmann – Collagen mit Andreas Okopenko
Schon ihr Germanistikstudium hatte die gebürtige Wienerin aus Geldmangel abbrechen müssen. Ersten Veröffentlichungen in der Wiener Avantgarde-Zeitschrift „Plan“ 1946 folgt zehn Jahre später das erste Buch. In den 50ern baute sie gemeinsam mit Andreas Okopenko Textmontagen und schrieb selbst immer wieder dadaistisch in Collagen, persiflierte in einer Comic-Sprache – sie war konstant die exponierteste Vertreterin der „Wiener Gruppe“ um H.C. Artmann und hielt auch konsequent am artifiziellen Schreiben fest, als die deutsche Literatur in den 80er-Jahren in ein neues Biedermeier realistischen Erzählens zurückfällt.
Diese Nestorin der neo-avantgardistischen Lyrik, die jungen, großen Autoren wie Thomas Kling (mit dem sie literarisch bewegte wie bewegende Schriftwechsel, teils in Gedichtform verbinden) oder Marcel Beyer die Tür geöffnet hat, bekam den Büchnerpreis paradoxer Weise erst sechs Jahre nach einem Epigonen wie Durs Grünbein. Überhaupt kamen die Preise erst im hohen Alter, noch in diesem Jahr war sie mit dem tagebuchartigen Band „da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete“ für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Ihr Werk, das sich in über 100 Büchern niedergeschlagen hat, wird nicht nur bleiben, es wird eines Tages auch wieder mehr geschätzt werden als zu ihren Lebzeiten.