Essen. Die „Schum“-Städte Worms, Speyer und Mainz waren im Mittelalter Hochburgen des europäischen Judentums. So bewerben sie sich um den Welterbe-Titel.
Seit 1700 Jahren leben Juden im Rheinland. Und doch wird es nicht wenige Menschen überraschen, dass im Städtedreieck von Mainz, Speyer und Worms, die ja in erster Linie als kaiserliche Reichsstädte des Mittelalters und für ihre christlichen Dome bekannt sind, einst auch ein Zentrum, ja eine Wiege des europäischen, des aschkenasischen Judentums lag. Manche sprechen gar vom „Jerusalem am Rhein“. Im Mittelalter sollen die ersten Juden als Fernhändler aus dem heutigen Italien und Frankreich an den Mittelrhein gekommen sein, der ja stets auch eine bedeutende Handelsstraße war.
Die drei Städte, die sich nach ihren hebräischen Namen „Schpira“ (Speyer), „armaisa“ (Worms) und „agenza“ (Mainz) „Schum“-Städte nennen (weil der hebräische Buchstabe für W auch ein U bedeuten kann), bewerben sich gemeinsam um den Titel eines Unesco-Weltkulturerbes. Die Geschichte der jüdischen Gemeinden in Mainz, Worms und Speyer, die als Rheinstädte auch Handelsmetropolen waren, reicht bis in die Zeit Karls des Großen zurück. Die Schulen der Schum-Gemeinden und ihre Gelehrten genossen europaweiten Ruhm und zogen Schüler aus allen Himmelsrichtungen an. Im Hochmittelalter bildeten die drei Gemeinden das religiöse, und kulturelle und rechtliche Zentrum des aschkenasischen Judentums. Um 1220 schlossen sie sich auch offiziell zusammen.
„Schum“ war auch das Wort für Knoblauch
1156 hatten sie bereits das Richteramt über alle jüdischen Gemeinden im deutschen Reich erhalten. Sie regelten damit alle Rechtsfragen und entschieden im Familien-, Ehe- und Erbrecht. Die von ihnen getroffenen Beschlüsse waren bis ins 13. Jahrhundert hinein für alle deutschen Juden bindend. In dieser Zeit hießen sie jenseits des Rheinlands oft auch einfach nur „Die Gemeinden“ – und alle Juden wusste, welche damit gemeint waren. Und da „Schum“ auch das hebräische Wort für Knoblauch ist, wurden Juden in der Kunst des Mittelalters und der Frühen Neuzeit mit einer Knoblauchzehe dargestellt, um ihre Zugehörigkeit zu den Schum-Gemeinden zu verdeutlichen.
Außerdem beeinflussten die Intellektuellen der drei hebräischen Gemeinden auch die architektonische Weiterentwicklung des europäischen Judentums, vor allem beim Bau von Synagogen und Ritualbädern, den Mikwaot. So findet sich im Judenhof von Speyer die älteste bekannte Monumentalmikwe; ein solches Ritualbad sollte „lebendiges“, also fließendes oder See-Wasser enthalten und nicht geschöpftes Wasser, was architektonisch eine besondere Herausforderung darstellte. Es ist insgesamt das früheste umfangreich erhaltene jüdische Gemeindezentrum in Zentraleuropa. Das „Archäologische Schaufenster in Speyer“ biete denn auch die Sonderausstellung „Vom Kuhdorf zur metropolis germaniae“, welche die Schum-Gemeinden als deutsche Hauptstadt der Juden präsentiert.
Bewerbung läuft seit 2006
In Worms bilden die ehemalige Synagoge, die Frauenschul, die Judenratsstube mit Vorhalle, der Synagogenhof, die Mikwe und die mittelalterlichen Fundamente des einstigen Gemeindehauses sowie der alte jüdische Friedhof „Heiliger Sand“ mit mehr als 2500 Grabmalen aus der Zeit zwischen dem 11. und 20. Jahrhundert ein einmaliges Ensemble.
Seit 2006 legen sich das Land Rheinland-Pfalz und die drei beteiligten Städte gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Mainz dafür ins Zeug, dass die Schum-Städte zum Unesco-Welterbe ernannt werden; ein größerer Verbund mit weiteren jüdischen Stätten auf deutschem Boden scheiterte im Vorfeld. Die Konkurrenz in Deutschland ist groß: Auch der Bäderverbund „Great Spas of Europe“ bewirbt sich (mit den drei deutschen Kurstätten Baden-Baden, Bad Ems und Bad Kissingen), der Niedergermanische Limes und die Margarethenhöhe in Darmstadt.
Die Fürsprecher des Unesco-Antrags sehen die Integrität, also die Unversehrtheit der erhaltenen Stätten als Kriterium des Welterbe-Komitees genauso erfüllt wie die Authentizität, ihre Echtheit. Die Antragsunterlagen samt einem Management-Plan für den künftigen Umgang mit den historischen Stätten gingen im Januar 2020 an das Welterbe-Zentrum in Paris. Sie sind bereits in einem mehrstufigen Evaluierungsverfahren überprüft worden – die Chancen für einen Welterbe-Titel stehen gar nicht schlecht..