Essen. Die „Great Spas of Europe“ bewerben sich um den Welterbe-Titel der Unesco. Deshalb müssen sie tönen, sie hätten Gutes für die ganze Welt getan.

Es ist schon von einiger Ironie, dass einstige Tourismus-Magneten wie die großen Kurbäder des 19. Jahrhunderts nun den Titel eines Unesco-Welterbes anstreben – nicht zuletzt, um mehr Touristen anzuziehen. Elf dieser Kurorte aus sieben Ländern haben sich unter dem Label „Great Spas of Europe“ („Bedeutendste Kurorte Europas“) zusammengeschlossen, um den begehrten Titel mit einer länderübergreifenden Bewerbung anzustreben: Spa in Belgien, Baden-Baden, Bad Ems und Bad Kissingen in Deutschland, Vichy in Frankreich, Montecatini Terme in Italien, Baden bei Wien in Österreich, Karlsbad, Marienbad und Franzensbad in Tschechien sowie Bath in Großbritannien. Der großbürgerliche Glanz von einst ist verblasst, Kur­orte haben ein etwas verstaubtes Image – aber als Objekt der touristischen Bewunderung würden sie wieder ein wenig aus dem Kurschatten treten und ließen sich auch jenseits von Rezepten, Trink- und Liegekuren vermarkten.

Ein Netz von Kurorten in Europa gab es allerdings auch schon bei den Römern. Die berühmte „Tabula Peutingeriana“ in der Wiener Nationalbibliothek, die das Straßennetz des Römischen Reiches verzeichnet, markiert mit einem viereckigen Symbol auch antike Kurstädte wie Aquis Calidis, das später den Namen Vichy tragen sollte.

„Mediziner der Aufklärung“ – „Transformation der Gesellschaft“

Die meisten der „Great Spas of Europe“ aber entwickelten sich im 18. und 19. Jahrhundert rund um natürliche Mineralquellen herum. Die architektonische Anlage der Städte folgte meist den (vermuteten, aber auch manifesten) Bedürfnissen der künftigen Kurgäste: Sie waren „Katalysator für ein innovatives Modell der räumlichen Organisation, das kurativen, therapeutischen und sozialen Funktionen gewidmet war“, wie es etwas hochtrabend in der Bewerbungsschrift heißt. Diese spezielle Gestaltung des Stadtraums habe „eine urbane Typologie geschaffen, die in der Geschichte keinerlei Parallele aufweist.“ Die Einbeziehung einer oft malerischen Landschaftsumgebung sei gar als Teil des Therapiekonzepts solcher Kurstädte zu verstehen.

Außerdem nehmen die „Great Spas“ für sich in Anspruch, für die „Anwendung von Quellen durch Mediziner der Aufklärung in ganz Europa“ zu stehen. Sie hätten, heißt es nicht minder vollmundig weiter, „durch die Verringerung der Kluft zwischen der sozialen Elite und einer wachsenden Mittelschicht zur Transformation der europäischen Gesellschaft“ beigetragen. Wahr ist allemal, dass die „Great Spas“ von einer „ganzheitlichen Einstellung zur Gesundheit“ zeugen, „die sich rund um das Heilbad entwickelte“: In die Kur zu gehen, bedeute „nicht nur Diagnosen und Verschreibungen, sondern auch Diät und Bewegung, Unterhaltung, Freizeit und Genuss. Die Kur ist also ein Mikrokosmos der Werte der Aufklärung, eine eigene Kultur in sich selbst und ein Vorläufer des modernen Wohlfahrtsstaates beziehungsweise des Gesundheitstourismus.“ Zudem seien Kurstädte oft Orte von politischen Ereignissen gewesen und hätten Kunstschaffende „zu hochkarätigen Werken in Musik, Literatur und Malerei“ inspiriert, „die von herausragender universeller Bedeutung“ seien.

Warum nicht Davos, warum nicht Wiesbaden?

Antragslyrik mag nicht dazugehören, aber die Erwähnung von künstlerischen Inspirationen macht unfreiwillig bewusst, dass etliche Kurorte von europäischem, wenn nicht gar Weltrang, unter den „Great Spas“ gar nicht vertreten sind. Wie hätte Thomas Manns „Zauberberg“ ohne Davos entstehen sollen? Und was wäre das „Roulettenburg“ in Dostojewskis „Spieler“-Roman ohne das Vorbild Wiesbaden?

Nun, Wiesbaden war ursprünglich dabei – bei der ersten Bewerbung, die 2008 krachend scheiterte. Gleiches gilt für das tschechische Luhačovice, das als eine Art Fahnenträger des Antrags fungierte. Es gab ein langes Hin und Her über die Kriterien und die Leitlinie der Bewerbung, die mehr und mehr auf Unesco-Tauglichkeit getrimmt wurde. Mit der Folge, dass am Ende von 16 teilnehmenden Städten für eine Bewerbung nur noch elf übrig blieben, die den erfolgversprechenden Kurstadt-Kriterien rundum entsprachen.