Darmstadt. Über die Mathildenhöhe in Darmstadt als Welterbe sollte die Unesco schon 2020 entscheiden. Doch das fiel aus. Nun wird eine Entscheidung erwartet.
Ähnlich wie im Ruhrgebiet, arbeitet man in Darmstadt seit über einem Jahrzehnt am Traum vom Unesco-Welterbetitel. Bald schlägt die Stunde der Entscheidung. Gibt das Welterbekomitee mit Sitz in Paris grünes Licht, dann kann sich die Mathildenhöhe in der südhessischen Stadt künftig in einem Atemzug mit den Pyramiden von Giseh in Ägypten, Angkor Wat in Kambodscha und der Inka-Stadt Machu Picchu in Peru nennen.
Am 16. Juli beginnt die Tagung des Komitees - pandemiebedingt online. Das Ensemble der Künstlerkolonie Mathildenhöhe stand eigentlich schon vor einem Jahr zur Entscheidung an, die Sitzung im chinesischen Fuzhou wurde wegen der Corona-Pandemie aber abgesagt.
Videoporträt der Mathildenhöhe in Paris
„Nachdem die Stadt jüngst auf die letzten Fragen aus Paris nochmals umfänglich geantwortet und auf Bitte der Unesco bereits ein Videoporträt der Mathildenhöhe eingereicht hat, was als positives Signal gedeutet wird, gibt es allen Grund, weiterhin optimistisch zu sein, dass die Mathildenhöhe in die Welterbeliste aufgenommen wird“, sagt ein Sprecher der Stadt. Die Anspannung steige. „Jetzt heißt es: Daumen drücken!“
Die Unesco gibt mit ihrer Welterbekonvention von 1972 zehn Kriterien vor, von denen eines erfüllt werden muss. „Maßgebend ist der außergewöhnliche universelle Wert einer Kultur- oder Naturstätte“, so die Deutsche Unesco-Kommission.
Fünf Anträge mit deutscher Beteiligung stehen auf der Tagesordnung: Neben der Darmstädter Mathildenhöhe sind dies Orte des jüdischen Mittelalters am Mittelrhein (Worms, Speyer und Mainz), bedeutende europäische Bäder und Kurorte des 19. Jahrhunderts, der römische Grenzwall Donaulimes (der durch Bayern, Österreich, die Slowakei, Ungarn, Serbien, Rumänien und Bulgarien geht) und der Niedergermanische Limes (der von Bad Breisig am Mittelrhein bis Katwijk in den Niederlanden führt).
Es ging um Kunst – und wirtschaftliche Entwicklung
Die Macher in Darmstadt sehen gleich mehrere Kriterien für das vom Jugendstil geprägte Ensemble erfüllt. Unter anderem sei das Areal mit 15 Gebäuden wie dem Hochzeitsturm, einer russischen Kapelle, einem großen Ausstellungshaus, Parkanlage und Skulpturen ein entscheidender Schnittpunkt hin zur Moderne der Architektur. Sie sehen nicht einfach ein Jugendstil-Ensemble, sondern einen Schritt zum Bauhaus. Der Allround-Designer Peter Behrens war einer der ersten Künstler auf der Mathildenhöhe, bevor er 1903 Direktor der Kunstgewerbeschule Düsseldorf und später Lehrer von Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe wurde.
Als weiteres Kriterium sehen die Macher ein Ensemble von universeller Bedeutung. Die Mathildenhöhe repräsentiere die künstlerische und kulturelle Entwicklung um 1900 und ihre Wirkung auf die Moderne. Dabei war die Intention im ausgehenden 19. Jahrhundert keineswegs nur feingeistiger, sondern handfester ökonomischer Natur. Der hessische Großherzog Ernst Ludwig sah mangels Bodenschätzen einen wirtschaftlichen Aufschwung nur durch mehr Qualität in den Manufakturen gewährleistet und holte Künstler aller Couleur nach Darmstadt.
Joseph Maria Olbrich als Architekt
Als diese ersten 1899 in die Stadt kamen, befanden sich auf der Mathildenhöhe nur ein Wasserreservoir und eine vom russischen Zaren Nikolaus II. – dem Schwager des Großherzogs – errichtete Kapelle. Es sollte nach dem Willen des Architekten Joseph Maria Olbrich ein allumfassendes Kunstwerk entstehen; von der Architektur über die Anlage der Straßen bis hin zu täglichen Gebrauchsgegenständen in den Wohnungen. Kunst wurde zum Wirtschaftsfaktor. Darmstadt war dann unter anderem auf den Weltausstellungen in Paris 1900 und in St. Louis 1904 vertreten. Die Präsentation von Kunst und die Förderung der Industrie waren die Ziele der Künstlerkolonie bis zum Ersten Weltkrieg 1914.