Essen. Die neue Gretchenfrage in der Kultur lautet: Wie hältst Du’s mit Putin? Manche reden Klartext, andere machen sich Sorgen um Karriere oder Familie.

Wie hältst du es mit Putin? – Darf man Menschen aus Russland nötigen, die neueste Gretchenfrage zu beantworten? Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) stellte dem Chefdirigenten der örtlichen Philharmoniker am Freitag gar ein Ultimatum, sich vom Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zu distanzieren, das Valery Gergiew unbeantwortet verstreichen ließ. Nun ist Gergiew, der noch vor zwei Wochen ein Konzert mit den Wiener Philharmonikern in Essen gab, jemand, der von Vladimir Putin gefördert wurde und eine Freundschaft zu ihm pflegt – und vielleicht gab der Angriff auf die Ukraine Reiter die Gelegenheit, sich einer image-schädigenden Personalie mit größter Öffentlichkeitswirkung zu entledigen und Gergiev mit sofortiger Wirkung zu feuern.

Operndiva Anna Netrebko ließ sich zwei Tage drängen, bis sie sich vom Krieg distanzierte. Den Grund für ihr Zögern lieferte die Frau, die sich noch an ihrem 50. Geburtstag mit einer Gala im Glanz des Kreml sonnte, gleich mit: „Es ist nicht richtig, Künstler oder andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu zwingen, ihre politische Meinung in der Öffentlichkeit zu äußern und ihr Heimatland anzuprangern. Das sollte eine freie Entscheidung sein“, schrieb Netrebko gemeinsam mit ihrem aserbaidschanischen Ehemann auf Facebook und Instagram. Inzwischen hat sie alle Auftritte in der nächsten Zeit abgesagt, die Staatsoper München kündigte ihr wegen mangelnder Distanzierung vom Krieg alle geplanten Auftritte.

Klare Kante von Rapper Oxxxymiron und Popstar Sergej Lazarew

Vielleicht liegt Netrebko richtig, und es gibt kein Recht der Öffentlichkeit auf Erklärungen von Künstlern zum Krieg. Nur nimmt sich ein Schweigen seltsam aus bei Menschen, die sich sonst wie eine Scheinwerfersuche auf zwei Beinen benehmen, in jedes erdenkliche Mikrofon sprechen und die Welt gegebenenfalls auch Dinge wissen lassen, nach denen nie jemand gefragt hätte.

Und es gibt Künstler, bei denen gehören Überzeugungen, ein Ethos und wert-orientieres Denken zur Grundausstattung. Vielleicht hätte man es von einem Rapper wie dem in Russland beliebten Oxxxymiron nicht unbedingt erwartet, aber gerade er sagte ein Konzert ab und erklärte seinen 2,2 Millionen Instagram-Followern, wer in dem Krieg der Aggressor ist: „Die Ukraine ist nicht in russisches Gebiet eingedrungen. Es ist Russland, das gerade einen souveränen Staat bombardiert“. Sein Pop-Kollege Sergej Lazarew, der mal Putin-Anhänger war und für Russland beim Eurovision Song Contest 2016 sang, veröffentlichte auf seinem Instagram-Account, dem 4,7 Millionen folgen, ein schwarzes Bild und forderte ein Ende des Krieges: „Setzt euch an den Verhandlungstisch! Lasst die Menschen leben! Niemand unterstützt den Krieg! Ich will, dass meine Kinder in Frieden leben!“

Flucht am Bolschoi-Ballett, Rücktritte in Meyerhold-Zentrum und Stanislawski-Theater

Die russischen Popstars mögen sich durch ihre Prominenz geschützt fühlen, aber ungefährlich sind solche Äußerungen in der lupenreinen Ein-Mann-Diktatur Russland gewiss nicht. Erst recht für vergleichsweise unbekannte Kreative wie die Menschen, die in Russland Kinderbücher schreiben, illustrieren und verlegen. Sie forderten Putin in einem offenen Brief dazu auf, den Krieg zu beenden, der den Kindern die Zukunft raube. „Kinderbuchliteratur erzählt den Kindern von ihrer Zukunft“, schrieben sie, aber: „Wir können und werden ihnen nichts über das Leben erzählen, das Sie für sie vorgesehen haben.“

Der Tänzer und Choreograf Alexej Ratmansky, der am Moskauer Bolschoi-Ballett gerade eine neue Choreografie erarbeitete, floh mit seinem Kreativ-Team aus Russland. Der Choreograph sagt zwar, dass er Pläne habe, zurückzukehren und die ausgesetzte Produktion fortzusetzen, aber er ist sich nicht sicher wann. „Ich bezweifle, dass ich zurückkehren würde, wenn Putin noch Präsident ist“, sagte Ratmansky der New York Times. Er gibt sich vorsichtig, weil ein Großteil seiner Familie in der Ukraine lebt.

Krimischreiber Boris Akunin nennt Putin einen „Wahnsinnigen“

Auch russische Theaterregisseure reagieren deutlich auf den Krieg: Elena Kowalskaja trat nach langen Jahren als Direktorin am Moskauer Meyerhold-Zentrums, an dem der freie Theater-Nachwuchs interdisziplinäres Arbeiten lernt: „Das Meyerhold-Zentrum ist ein Staatstheater und ich werde nicht für den kriminellen Putin-Staat arbeiten“, erklärte Kowalskaja. Ebenso kündigte der Franzose Laurent Hilaire seinen Rücktritt als Direktor des Moskauer Stanislawski-Theaters. Tausende von Künstlern in Russland haben eine Petition gegen den Krieg unterschrieben.

Ob es hilft? Dem russischen Krimischreiber Boris Akunin, der Putin als „Wahnsinnigen“ bezeichnete, schwant böses: „Putinland und Russland ist nicht dasselbe. Aber die Welt wird zwischen den beiden nicht mehr unterscheiden.“