Salzburg. Für Salzburgs Publikum ist Anna Netrebko eine Säule kulinarischer Klassik. Aber auch andere Damen haben grandiose Stimmen, wie 2019 zeigt.
Großes Duell der Diven mit Netrebko der Besten, Schlagcreme und großen Posen. Tags später: knisternder Familien-Krimi im Salzburger Land mit Show-down an der Tankstelle: Stärker können die Kontraste nicht sein, die Salzburger Festspielmacher den Opernfans auf der großen Bühne bieten.
Was die Aufführungen – „Adriana Lecouvreur“ von Cilea (mit dem Mozarteum-Orchester unter Marco Amiliato) und „Médée“ von Mozart-Zeitgenosse Cherubini (mit den Wiener Philharmonikern unter Thomas Hengelbrock) – vereint: die Soprane sind in Topform, die Tenöre höchstens Mittelmaß, spielen in anderer Liga als die Damen.
In dem veristischen Musikdrama von Francesco Cilea spielt Anna Netrebko die doppelte Diva. In der Realität ist sie es seit 2002, als sie, wie ein Komet, von Salzburg aus den Opern-Kosmos eroberte. Als Adriana mimt sie die (im Barock verehrte) Schauspiel-Ikone. Die von der höfischen Gesellschaft vergötterte Künstlerin verstrickt sich in eine unglücklich endende Dreiecks-Lovestory mit Graf Maurizio, verfängt sich im Gestrüpp von Intrigen und wird Opfer eines Giftanschlags ihrer Gegenspielerin, der Prinzessin von Bouillon.
Salzburg jubelt über Anna Netrebko, aber auch Anita Rachvelishvili sahnt richtig ab
Letztere gesungen von der rassigen Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili (34), die in Stimmgewalt und Präsenz der Netrebko (47) ebenbürtig ist. Die Georgierin überrascht mit röhrenden, tiefen Tönen und entfacht eine immense Wucht in der Höhe, die Zuhörer in ihre Stühle presst.
Im Duell der Rivalinnen wirkt Netrebkos Stimme reif, sicher, rund. In tiefen Registern singt sie dunkler, edler und sinnlicher, ihre Höhen leuchten und glühen intensiver als vor einem Jahr. Erstaunlich, denn sie ist gerade auf dem Weg nach Bayreuth, wo sie Mitte August an zwei Abenden die „Lohengrin“-Elsa singen wird. Viele pilgern einzig ihretwegen nach Franken. Auch dort wird inzwischen eine andere Art Star-Business betrieben.
Netrebko-Gatte Yusif Eyvazov, häufig mitengagiert, meistert die Tenor-Partie wacker und metallisch, jedoch frei von Charisma und Glanz. Es gab in dieser konzertanten Aufführung Ovationen für alle.
Ebenso für die Protagonistin in „Médée“: Elena Stikhina, ebenfalls Russin, dominiert in der einstigen Paraderolle von Maria Callas mit Leidenschaft und bösem Funkeln. Medea ist zwar eine der blutrünstigsten und grausamen Figuren der Antike, die ihrem Geliebten Jason durch Intrigen zum Goldenen Vlies verhilft. Sie heiratet ihn, wird vom ihm verstoßen, weil König Créons Tochter eine bessere Partie für ihn ist.
Der junge Film- und Theaterregisseur Simon Stone, geboren in der Schweiz, aufgewachsen in England und Australien (in Oberhausen inszenierte er 2014 die „Orestie“) macht aus der grausamen Mythen-Figur indes eine moderne Frau – eine Migrantin, die trotz glücklicher Ehe plötzlich die Scheidungspapiere bekommt, verstoßen und in Panik zur Mörderin wird. Sie entführt die Kinder in einem Auto, übergießt sich mit Benzin und tötet sie und sich selbst im brennenden Wagen - vor den Augen Jasons und einer gaffenden Meute.
Filmszenen führen das Leiden Medeas in die Ästhetik einer Hitchcock-Welt
Stone begeistert durch eine Verquickung von perfekt gedrehten Filmszenen und Bühnenhandlung (Bühne: Bob Cousins) – Internetcafé, Telefonate, Mailboxnachrichten und Blick aus der Windschutzscheibe aus fahrendem PKW inklusive. Das Kinoformat, z.T. à la Hitchcock, entwickelt sich so stark, dass es schwerfällt, sich auf die elektrisierende Musik der erstklassigen Wiener Philharmonikern zu konzentrieren.