Essen. Martin Kippenberger wird zwei Mal in Essen ausgestellt. Mit Witz in der Villa Hügel, mit Ironie, versteckter Bedeutung und viel Platz im Folkwang.
„Kunst kommt bei Martin von Kommunizieren“, sagte seine Schwester Susanne mal. Und neben dem großen Mitteilungsbedürfnis fiel an dem jungen Martin, Jahrgang 1953, sein unerschütterlicher Glaube an sich selbst und ein intensiver Gestaltungswille auf. Letzterer brachte das Essener Schuhhaus Böhmer dazu, eine Bewerbung des kurzzeitigen Schaufensterdekorateurslehrlings Martin Kippenberger abzulehnen, verbunden mit dem Rat, man möchte ihm, „bei Ihren zeichnerischen Fähigkeiten, einen grafischen Beruf empfehlen“.
Und so etwas in der Art wurde dann ja auch aus dem Mann, der mancher schon als der Klassenclown des deutschen Kunstbetriebs bezeichnet hat. Das groß- und gutbürgerliche Elternhaus in Essen ließ ihm alle Freiheiten, der Vater, Zechendirektor in Frillendorf, regte ihn zum Fotografieren und Büchermachen an, was später in hingebungsvoll verwitzelte Künstlerbücher und Plakate mündete. Gut 100 Plakate und 120 Bücher blättern nun in der Essener Villa Hügel Kippenbergers Witz, Charme und tiefere Bedeutung auf.
„Vergessene Einrichtungsprobleme der Villa Hügel“ zum ersten Mal in der Villa Hügel
Wobei der Ausstellungsort auch nicht ohne Ironie ist: „Vergessene Einrichtungsprobleme der Villa Hügel“ schrieb Kippenberger im Vollbewusstsein des verzweifelten Versuchs der Krupps, im Prunk ihres Bürgerschlosses Spuren von Geschmack zu beweisen, auf den Katalog seiner Ausstellung in der Esslinger Villa Merkel. 1996 war das, ein Jahr vor seinem frühen Tod, – und der Katalog enthielt außer einem Titelbild nichts über die Villa Hügel.
Nun kehrt er quasi an den Ort seines Ursprungs zurück und wird, zusammen mit anderen Katalogen und Künstlerbüchern, vor den Buchrückenreihen der Kruppschen Hausbibliothek präsentiert, also etwa vor Karl Simrocks Übersetzung der „Edda“ oder Peter Roseggers „Spaziergängen in der Heimat“. Auf einem Tisch unter Glas ausgebreitet die Privatfotos, aus denen „Kippy“ sein erstes Buch „Vom Eindruck zum Ausdruck. ¼ Jahrhundert Kippenberger“ zusammenstellte.
Ätzbäder des Spotts und „The Happy End of Franz Kafka’s Amerika“
Er machte mit den Ätzbädern seines Spotts ja vor sich selbst nicht Halt, neben der kokett-zynischen Hybris der Devise „Was Gott im Herrschen, bin ich im Können“ bezeichnete er sich schon 1984 als „ewig junger Wilder“. Kippenberger hatte aber, bei allem Hang zu Alkohol und anderen Drogen, immerhin sein Studium an der Hamburger Kunsthochschule abgeschlossen (was er zugunsten einer makellosen Protestheldenvita gern verschwieg). Sein Anarchismus und Trotz, seine Phantasie und Kunstbetriebhintergehungskunstmasche spiegelt sich höchst unterhaltsam in der Villa Hügel.
1994, drei Jahre vor dem frühen Ende seines ständig vibrierenden, rastlos schöpferischen Lebens, ließ Kippenberger vor dem Rotterdamer Museum Boijmans van Beuningen zwei Umzugswagen anrollen, um seine XXL-Installation „The Happy End of Franz Kafka’s Amerika“ aufzubauen, auf einem grasgrünen Spielfeld 50 Paarungen aus Stühlen und Schreibtischen, versammelt aus Kippenbergers zahllosen Lebensstationen, aber auch nachgebaut (wie etwa der Tisch, an dem Musil seinen „Mann ohne Eigenschaften“ schrieb), Schleudersitze auf einem Karussell, Bademeister-Hochsitze, Spanplatten vom Papstbesuch im Kölner Stadion…
Platznehmen auf den Zuschauertribünen rechts und links
Das alles handelt von Ankommen, Geprüftwerden, von Überwachen und Strafen; davon, vor Statthaltern der Macht sich bewähren zu müssen, um Eintritt zu finden in eine Gesellschaft, und davon, Hoffnungen zu hegen und begraben. Da bleibt in der großen Folkwang-Halle viel Platz für Interpretationen und Assoziationen, ein Katalog zu den Hintergründen folgt. Und fürs mehrmalige Umrunden oder Platznehmen auf den Zuschauertribünen rechts und links auch. Mit seinem Ausflug ins Amerika des Franz Kafka ist Martin Kippenberger jedenfalls eindrucksvoll heimgekehrt.