Essen. .

Die meisten Ruhrgebietsgeschichten leiden an schlimmer Stereotypitis. Da will man manchmal den Mottek nehmen und die Klischees in ofengerechten Portionen weghauen. Zum Glück gibt es auch noch regionale Eigengewächse, die wahrhaftigere Geschichten von hier erzählen. Es gibt zum Beispiel den Autoren Ralf Rothmann (62), der in Oberhausen-Sterkrade aufwuchs. Das Feuilleton nannte ihn einmal den „feinnervigsten“ Literaten seiner Generation.

Winkelmann schrieb: „Ich mach das“

Es gibt auch die Herner Till (31) und Nils (33), zwei der vier schauspielernden Beckmann-Geschwister, die als „Die Spielkinder“ Rothmanns Geschichten auf die Bühnen bringen. Sie haben nach seinem Roman „Junges Licht“ ein Drehbuch geschrieben. „Macht damit, was ihr wollt“, soll der eher zurückgezogene Autor ihnen 2011 gesagt haben, „meinen Segen habt ihr.“

Drittens gibt es den Dortmunder Regisseur Adolf Winkelmann (69), in den Achtzigern und Neunzigern prämiert für Filme wie „Jede Menge Kohle“ oder „Nordkurve“. Nils kannte dessen TV-Zweiteiler „Contergan“ und regte an, ihn brieflich um Rat zu fragen, wie man als Neuling so ein Drehbuch verfilmt kriegt. Winkelmanns Antwort: „Danke für das Buch. Ich mach das mit euch.“ Am Sonntag feiert „Junges Licht“ Kinopremiere in Essen.

Dass der Film zustande kam, ist im traditionell konservativen Film-Deutschland schon eine unwahrscheinliche Geschichte. Von den betont undramatischen Romanen Rothmanns haben sich Till und Nils nämlich für den leisesten entschieden: „Junges Licht“.

Er erzählt den letzten unbeschwerten Kindheitssommer im Leben des 12-jährigen Julian (Oscar Brose), der in den Sechzigern als sensibles Kind unter groben Leuten in einer Zechensiedlung aufwächst. Es passiere fast nichts, sagt Nils Beckmann. „Aber trotzdem geht es um alles, was das Leben spannend, schön und schrecklich macht.“ Sein Bruder Till: „Hinter diesen knappen, kurzen Sätzen tut sich immer eine Welt auf.“ Dass diese poetische Kraft im Film rüberkommt, ist dem eigenen, wehmütigen Gefühl zu verdanken, das Regisseur Winkelmann darin gefunden hat: Das Buch habe ihm „vor Augen geführt, dass ich das, worum es mir wirklich geht, noch gar nicht erzählt habe“, sagt der Fast-70-Jährige.

2009 ist auch Till zum Rothmann-Fan geworden. Durch „Stier“, eine szenemäßige Erkundung des Ruhrgebiets in den Siebzigern. Das richtige Buch zur richtigen Zeit. Till hatte kurz vorher die Schauspielschule in Hamburg geschmissen, weil er lieber in der freien Theaterszene in NRW spielen und in Bochum Literatur studieren wollte. Es ist auch die Zeit, als er sich für „Ruhrgebietsliteratur“ als Geschichtenfundus interessiert, und einen Ruhrgebiets-Literaturwettbewerb mit ins Leben ruft, aus dem später der Verein „Ruhrpoeten“ wird.

Tills erster Eindruck von Rothmann: „Da versteht mich einer besser als ich mich selbst.“ Die Menschen würden dort nicht ruhrgebietstypisch „verhohnepiepelt“. Rothmann erzähle eine universelle Geschichte, nur eben in dieser Region. „Wäre er in Freiburg im Breisgau als Sohn eines Weinbauern großgeworden, hätte er halt darüber sehr gut geschrieben“, meint Till.

Nach „Junges Licht“ führen sie nun Gespräche über weitere Projekte, sagt Till. Noch sei nichts spruchreif, ergänzt Nils, aber „wir haben Blut geleckt und versuchen gerade weiterzumachen.“ Und, sagt wieder Till: Rothmanns etwas rauerer, erwachsenerer Roman „Milch und Kohle“ sei natürlich „ein Juwel“.