Mülheim. Seit in Mülheim die Alte Post saniert wird, gibt’s Ausstellungen im „Kunstmuseum Temporär“ – Vorbild für ähnliche Projekte in ganz Deutschland.

Beuys im Schaufenster, das hat man auch nicht alle Tage. Früher blitzten hier, am Beginn der Mülheimer Einkaufsmeile Schlossstraße, Cromargan-Bestecke, Töpfe und Pfannen, jetzt tut es der Geist des Kunst-Schamanen vom Niederrhein. Und die Laden-Auslage voller Plakate, Auflagen-Werke und Postkarten von Joseph Beuys ist auch kein Geschäft mehr, sondern das „Kunstmuseum Temporär“.

Links der Museumsshop, der, ehrenamtlich betrieben, zur Finanzierung des Museums unabdingbar ist und viele Menschen hineinlockt; rechts dann der Durchgang zum hinteren Raum, wo Platz für Ausstellungen ist (100 Quadratmeter ohne Fenster, ein Traum für Museumsleute) und vier Arbeitsplätze auch. All das wurde vor gut zwei Jahren aus der Not geboren – und ist nun auf dem Weg, zum Vorbild und Pionier für ähnliche Projekte in der ganzen Kunstrepublik Deutschland aufzusteigen.

Viele Museumsgebäude müssen saniert werden

Denn wie seit dem November 2018 für Mülheims Kunstmuseum in der Alten Post, stehen für viele Museumsgebäude in den nächsten Jahren Sanierungen an – Klimatechnik, Brandschutz, Wärmedämmung, Veranstaltungstechnik müssen allerorten auf den neusten Stand gebracht werden.

Das Problem in solchen Situationen: Diese Sanierungen dauern oft nicht nur Monate, sondern Jahre. Dann sucht sich das Stammpublikum oft auch andere Ziele – und muss bei einer Wiedereröffnung mühevoll wiedergewonnen werden, was in der Regel nur großen Häusern mit einem entsprechenden Werbe-Etat gelingt.

Das Interesse neuer Zielgruppen geweckt

Dem Mülheimer Kunstmuseum ist es mit dem Umzug in die Fußgängerzone aber nicht nur gelungen, das Publikum bei der Stange zu halten – „wir konnten mit dem ,Kunstmuseum Temporär’ auch mal ganz andere Menschen für Kunst gewinnen“, schwärmt Museums-Chefin Beate Reese. Der Punkt: Im Vergleich zu einem Laden in der Fußgängerzone wirkt die Alte Post, hoch über der Einkaufsmeile, anscheinend weniger offen, weniger einladend. „Da haben wir gelernt, dass wir vielleicht über die Eingangssituation der Alten Post noch mal nachdenken müssen“, sagt Beate Reese. Nur: Das Gebäude ist denkmalgeschützt, das setzt engste Grenzen.

Aber auch das Veranstaltungsprogramm des nunmehr niederschwelligen Museums hat sich mit dem Umzug und der Verkleinerung verändert: Die ersten Ausstellungen widmeten sich der Kunst im öffentlichen Raum (für deren Betreuung in Mülheim ebenfalls das Museum zuständig ist) – und zu einem regelrechten Knüller wurden die „Stadtkunsttouren“ zu eben jener Umsonst-und-draußen-Kunst. Mittlerweile gibt es eine dritte, nach der „Kunst im Zentrum“ und der „Kunst in Architektur und Natur“ seit 2020 die „Kunst im Viertel“ – mit Maske auch sehr leicht corona-konform.

Konzeptkunst in der Innenstadt

Anders auch die Ausstellungen: Draußen hat der Konzeptkünstler Ruppe Koselleck, der die feindliche Übernahme des Ölkonzerns BP als Kunstprojekt betrieben hat und aus Ölklumpen der „Deepwater Horizon“-Katastrophe im Golf von Mexiko Skulpturen schuf, Abdrücke vom Pflaster genommen und die Papiere zum Quadratmeterpreis der Innenstadt verkauft.

Das Mülheimer Kunstmuseum ist agiler geworden, kreativer, näher am Publikum – es wird nicht mehr dasselbe sein, wenn es, 2022 wohl, wieder in der Alten Post eröffnet.

Beuys beim Vortrag seiner gesellschaftspolitischen Vorstellungen

Zur aktuellen Beuys-Ausstellung gehört übrigens auch ein Kurzfilm, den Werner Nekes und Dore O. mit ihm gedreht haben. Das 11-Minuten-Werk zeigt Beuys beim Vortrag seiner gesellschaftspolitischen Vorstellungen, er habe „ja das Denken in die Kunst gebracht“, sagt Beate Reese. Draußen auf der Straße hört man allerdings nicht viel von dem Vortrag, eine Lautsprecher-Installation scheiterte. Aber: Auf dem Schaufenster ist ein QR-Code angebracht: Damit kann man Beuys auf seinem Smartphone hören. (Bis 21. Februar)