Oberhausen. Es bleibt beim Streaming im Theater. In Oberhausen wurde jetzt mit „Innen.Nacht“ eine raffiniert gestaltete Endzeit-Reise aus der Taufe gehoben.

Die schreckliche, theaterlose Zeit setzt die Bühnen weiter schachmatt. Doch während sich einige von ihnen in pandemischer Schockstarre beinahe resignierend ihrem Schicksal ergeben, setzt die Krise bei anderen erstaunliche kreative Energien frei. Etwa in Oberhausen: Das Theater am Will-Quadflieg-Platz entwickelt sich zum wahren Streaming-Weltmeister.

Kurz nach dem bezaubernden Frühlingsreigen „Der Ursprung der Liebe“ wird bereits die nächste Aufführung exklusiv für den Videodienst „Vimeo“ eingerichtet. Rund 140 Zuschauer sind an ihren Bildschirmen live dabei – mehr als bei mancher analogen Premiere früherer Tage. Wenn das der alte Will noch erlebt hätte.

Premiere für „Innen.Nacht“ am Theater Oberhausen

Auch „Innen.Nacht“ ist der einfallsreiche Versuch, dem Publikum etwas Anregendes nach Hause zu senden, ohne einfach nur Theater abzufilmen. Regie führt der Videokünstler Bert Zander, der im vergangenen Jahr mit einer Lockdown-Version von Camus‘ „Die Pest“ (als Miniserie!) einen klugen Kommentar zur Zeit abgab und das Oberhausener Theater damit bis in die New York Times brachte. Zander ist sich seiner stilistischen Mittel auch diesmal sehr bewusst. Mit wackeliger Handkamera führt er die Zuschauer über die dunkle Bühne des großen Hauses, die in tiefem Nebel versunken daliegt wie ein toter Riese.

Durch eine schmale Luke krabbelt die Schauspielerin Luna Schmid in einem Schutzanzug durch die gespenstische Szenerie und kritzelt die Wörter „Wer wir waren“ auf eine dunkle Tafel – als wolle sie die Erinnerungen an eine Welt, wie wir sie kannten, für nachfolgende Bewohner festhalten.

Bert Zander inszeniert die Endzeit-Reise als doppelbödiges Spiel

Was dann folgt, ist ein bemerkenswert doppelbödiges Spiel mit den Realitäten. Zu Texten unter anderem von Ulla Hahn und Daniel Schreiber werden die Schauspieler als überlebensgroße Projektionen auf die Wände geworfen. Ob sie an dem Abend überhaupt im Theater sind oder alles kontaktlos zu Hause eingespielt haben, bleibt offen.

Wer wir waren: Der kluge Text von Roger Willemsen bildet gewissermaßen den Hauptanker dieser knapp einstündigen musikalisch-literarischen Endzeit-Reise. Clemens Dönicke spricht ihn in einem Raumanzug: „Wenn man es genau bedenkt, wurde vom Anfang aller Tage an alles immer schlechter“, sagt er. Der Klimawandel, die grassierende Armut, jetzt das Virus, von dem der 2016 verstorbene Willemsen nichts mehr mitbekam: Vieles lässt sich in seinen wie in Stein gemeißelten Sätzen unterrühren.

Schauspieler lassen eigene Erlebnisse in den Abend einfließen

Fast schon heitere Noten bekommt der Abend, wenn die Schauspieler eigene Erlebnisse mit einfließen lassen. So erzählt der wunderbare Torsten Bauer, der 1961 am Tag des Mauerbaus geboren wurde, von seiner Kindheit im Arbeiter- und Bauernstaat und trägt dazu einen wallenden Rock. Christian Bayer führt ein Stück des französischen Shootings-Stars Édouard Louis auf, der vom schwierigen, aber auch beglückenden Verhältnis zu seinem Vater erzählt.

Wenn der Abspann läuft und der Live-Stream endet, schaltet man einmal mehr etwas traurig den Computer aus. Denn ohne Zweifel würde dieser Abend live im Saal eine ungleich hypnotischere Wirkung entfalten als daheim am winzigen Schirm.

Nächster Live-Stream am 1. April, 21h. Karten: 02088578184