Essen. Klaus Graf von Baudissin wurde 1934 Folkwang-Direktor und exekutierte die NS-Kunstideologie. Er gehörte sogar zur Kommission „Entartete Kunst“.
Nach russischer Kriegsgefangenschaft und einer Internierung im Lager für NS-Funktionäre Neuengamme bei Hamburg bis 1948 zog Klaus Graf von Baudissin vor Gericht, um wieder in sein Amt als Direktor des Museums Folkwang eingesetzt zu werden. Am Ende konnte er zwar „nur“ eine Pension bis an sein Lebensende 1961 erstreiten – aber schon die Unverfrorenheit, mit der dieser einstige SS-Obersturmbannführer, ein glühender Antisemit und NSDAP-Mitglied seit 1932, sein Entnazifizierungsverfahren betrieb. Dabei konnt er sogar erreichen, dass man ihn statt zunächst in der Gruppe IV für „Mitläufer“ schließlich in der Gruppe V für „Entlastete“ einsortierte – heute ist das kaum mehr nachvollziehbar. Erst recht, wenn man weiß, dass der einstige Folkwang-Direktor Baudissin 1937 extra seinen Juist-Urlaub unterbrach, um mit einer Kommission aus deutschen Museen Kunstwerke für die nazistische Diffamierungs-Schau „Entartete Kunst“ abzuziehen.
Baudissins politische Orientierung war schon 1933 so klar nationalsozialistisch und antisemitisch, dass er zum Wunschkandidaten des Essener NS-Oberbürgermeisters Theodor Reismann-Grone wurde. Freilich sperrte sich das Kuratorium des Museumsvereins noch, in dem die Fachleute saßen. Doch das wurde mit ministerialer Hilfe aus Berlin so umbesetzt, dass der bisherige Direktor Ernst Gosebruch keinen Sinn mehr darin sah, dem Terror gegen seine Person und Familie zu widerstehen – er trat zurück.
Feme-Schau „Kunst im Dienste der Zersetzung“ im Berliner Kronprinzenpalais
Das Kuratorium benannte den soliden Kunsthistoriker Eberhard Schenk zu Schweinsberg von der Städtischen Galerie Wiesbaden als Nachfolger, doch das preußische Erziehungsministerium setzte Baudissin durch, der sich den Nazis kurz zuvor mit der Feme-Schau „Kunst im Dienste der Zersetzung“ im Berliner Kronprinzenpalais empfohlen hatte. So hängte Baudissin auch in Essen sofort die Sammlung um,
versteckte Expressionisten und Abstrakte im Festsaal oder im Depot, „in dessen Halbdunkel sie ihr gespenstisches Dasein weiterführen und in ihren schrillen Dissonanzen die zerrüttete Welt anklagen“, wie er in der „Nationalzeitung“ höhnte. „Heute hängt kein Kirchner mehr im Folkwang“, stellte ein Journalist 1934 fest.
Baudissin muss im persönlichen Umgang „freundlich verbindlich“ und „sehr netten Wesens“ gewesen sein, wie selbst Ernst Gosebruch befand. Aber: Mit dem Verkauf des abstrakten Kandinskys „Improvisation 28“ setzte er im Sommer 1936 ein weiteres Zeichen der „Säuberung“ – dabei hatte das Bild zur ursprünglichen Folkwang-Sammlung von Karl Ernst Osthaus gehört.
Hunderte von Werken aus dem Folkwang für die „Entartete Kunst“-Schau 1937
1937 reiste Baudissin dann mit der sechsköpfigen „Entartete Kunst“-Kommission von Hamburg über Bremen nach Essen, wo sie in einem ersten Zugriff 37 Gemälde, drei Plastiken, 17 Zeichnungen und zwölf Grafiken beschlagnahmte. Wenige Monate später wurde das Folkwang entkernt, indem man dort hunderte weitere Werke requirierte. Darunter auch 455 Druckgrafiken von Emil Nolde, den Baudissin selbst noch 1935 gebeten hatte, ein Konvolut von 375, das vom Folkwang angekauft worden war, um weitere 90 zu vervollständigen.
Mitte 1937 wechselte der Folkwang-Chef nach Berlin ins Reichserziehungsministerium, wollte aber das Museum mit Hilfe seines Stellvertreters Heinz Köhn weiter leiten. Rätselhafterweise schied Baudissin im April 1938 schon wieder aus dem Ministerium aus, manche Insider vermuteten, dass sein Plan, Direktor der Berliner Nationalgalerie zu werden, zuvor gescheitert sei.
Disziplinarverfahren aus Essen, Weimar und Hagen
Aber in Essen wollte man Baudissin ebenfalls nicht mehr haben. Der dortige Oberbürgermeister bot ihm eine höher dotierte Stelle als Kunstreferent der Stadt an, was Baudissin ablehnte; daraufhin wurde er im November 1938 suspendiert; im Jahr darauf strengten die Gauleitungen Essen, Weimar und Hagen ein Disziplinarverfahren gegen den Grafen an, das auf Anordnung des SS-Chefs Heinrich Himmler „bis Kriegsende“ zurückgestellt wurde. Baudissin, der sich in seiner Folkwang-Zeit bei Kollegen unter anderem danach erkundigt hatte, welche Künstler mit jüdischen Frauen verheiratet waren, machte sich dann während des Krieges in der Waffen-SS um die Entfernung nicht-arischer Mitarbeiter in österreichischen Museen „verdient“.