Essen. Ein Millionenerbe, der seinen Reichtum nach nationalistischen Anfängen dem Allgemeinwohl widmete: der Folkwang-Gründer und sein Museum in Hagen.

Die herausragendste Eigenschaft von Karl Ernst Osthaus, neben dem Drei-Millionen-Mark-Erbe (das wären heute etwas mehr als 20 Millionen Euro) seiner geliebten Großeltern, dürfte sein leicht zu entzündender Enthusiasmus gewesen sein. Bevor der ihn dazu brachte, der boomenden Industriestadt Hagen 1902 ein ganzes Museum zu widmen, führte ihn diese Begeisterungsfähigkeit auch schonmal auf Abwege. Damit ist nicht der Nervenzusammenbruch gemeint, den der 1874 geborene Sohn eines Bankiers und Enkel einer Fabrikanten-Familie erlitt, als er nach dem Abitur in die Kaufmanns-Lehre einer Spinnerei im Bergischen Land geschickt wurde. Sondern die anfängliche Anhängerschaft des Jung-Studenten Osthaus, der Hörsäle in Kiel, München, Berlin, Straßburg und Wien kennenlernen durfte, zur „Alldeutschen Bewegung“ und dem „Kyffhäuserverband“, beide stramm nationalistisch und übel antisemitisch.

Das Erbe seiner Großeltern, die ihm die Liebe der früh gestorbenen Mutter ersetzt hatten, brachte die Wende: Zwei Drittel des Erbes will er für das Allgemeinwohl ausgeben. Ein Museum war schon sein Jugendtraum, und es sollte von Anfang an in der gesamten Ruhr-Region, in der es um nichts so sehr ging wie um schnellen Reichtum durch Ausbeutung der Erde, für die Aufrechterhaltung, die Einführung von Idealen sorgen. Das Museum sollte Maßstäbe setzen in Sachen Schönheit und Menschlichkeit.

Schmetterlinge, Käfer und Mineralien in Nordafrika

Sein ehemaliger Lehrer am Realgymnasium, der Altphilologe und Biologe Johann Hermann Heinrich Schmidt konnte die Aufmerksamkeit des Millionenerben zunächst auf die Naturkunde lenken: In Bonn hört Osthaus naturwissenschaftliche Vorlesungen und reist schließlich mit Schmidt nach Nordafrika, um dessen Sammlungen (vor allem Insekten und Mineralien) weiter auszubauen. Die von Osthaus sehr geliebte Schmetterlingssammlung (sie stand ihm für den unendlichen Schönheitssinn der Natur) galt lange Zeit als verschollen und ist erst jüngst durch Nachforschungen des Osthaus-Biografen Rainer Stamm (siehe Box) in den Beständen des LWL-Naturkundemuseums in Münster wiederentdeckt worden.

Fasziniert ist Osthaus aber auch vom arabischen Kunsthandwerk, seiner Qualität und Eigenständigkeit, die ihm doch zahllose Einflüsse bis zurück in die Antike zu verarbeiten scheint. Er spielt sogar mit dem Gedanken, in Hagen ein Museum für islamische Kunst zu gründen. Zurück in der damals rund 90.000 Einwohner zählenden Stadt lernt Osthaus beim Bau seiner neuen Villa, die als Museum und Wohnhaus zugleich dienen soll, mit dem belgischen Innenarchitekten Henry van de Velde indes den Mann kennen, der seinem Enthusiasmus eine neue Richtung geben sollte. Von nun an kauft Osthaus vor allem Kunst, zunächst vor allem französische (Neo-)Impressionisten von Renoir bis Signac oder den noch als Geheimtipp geltenden van Gogh, mal in Paris in der Galerie, mal bei den Künstlern selbst. Sie bilden den Schwerpunkt seines 1902 in Hagen eröffneten Folkwang-Museums, dessen Name einen doppelten Sinn hat: Es soll ein Platz für alle sein – und es ist benannt nach dem Saal der germanischen Göttin der Schönheit, Freya.

Einkäufe wie im Rausch. Cézanne, Gauguin, Munch

Osthaus’ Kunstbegeisterung kommt nach der Eröffnung des Folkwang aber erst so richtig auf Touren. Mit der Zeit kauft er Cézanne, Gauguin, Munch – und dann irgendwann die deutschen Expressionisten mit Emil Nolde an der Spitze. Er steht in lebhaftem Austausch mit den führenden Museumsleuten seiner Zeit von Friedrich Deneken am Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum bis zu Alfred Lichtwark, dem Direktor der Hamburger Kunsthalle. Hugo von Tschudi von der Berliner Nationalgalerie beneidet Osthaus darum, dass er sich nicht für jeden gewagten Ankauf rechtfertigen musste. Der lockte auch Künstler wie Nolde (immer wieder) und Christian Rohlfs (auf Dauer) nach Hagen.

Osthaus’ früher Tod im Jahr 1921 ging auf eine Lungenentzündung zurück, die er sich im Ersten Weltkrieg zugezogen hatte. Seine Nachkommen sahen keine Chance, in Hagen einen halbwegs angemessenen Preis für die Sammlung des Museums zu bekommen. Der Ankauf für die Stadt Essen im Jahr 1922 markiert den Beginn der dortigen Folkwang-Geschichte.