Essen. Jonas Kaufmann wendet sich mit seinem jüngsten Lieder-Album einem noch längst nicht erschlossenen Repertoire zu: den Liedschaffen Franz Liszts.
Um seine Stimmkultur zu bewahren oder zu verfeinern, tut jeder Opernsänger gut daran, sich mit dem Kunstlied zu beschäftigen. Auch mit dem Risiko, dass sich stimmliche Mängel von keinem hilfreichen Dirigenten und keinem opulenten Orchester verschleiern lassen. Erst recht nicht, wenn man sich, wie Jonas Kaufmann in seiner problematischen Einspielung von Schuberts „Winterreise“, einer gewaltigen, ja erdrückenden Konkurrenz aussetzt. Es ist eine geschickte Entscheidung, wenn sich Kaufmann mit seinem jüngsten Lieder-Album einem noch längst nicht hinreichend erschlossenen Repertoire zuwendet, nämlich dem Liedschaffen Franz Liszts. Das erweitert einerseits den Blick auf Liszts Vielseitigkeit und entzieht andererseits Kaufmann dem direkten Vergleich mit den ganz großen Vertretern der Liederzunft.
Zudem kommt in den 20 Liedern, die der Tenor zusammen mit dem Pianisten Helmut Deutsch aus den 90 hinterlassenen Gesängen Liszts ausgewählt hat, dem Klavierpart ein so großes Gewicht zu, dass der Sänger mitunter wie ein Stichwortgeber in zweiter Reihe agiert. Aufgrund der besonderen Affinität, mit der sich Helmut Deutsch zur Musik Liszts seit Kinderzeiten hingezogen fühlt, ist der Pianist der eigentliche Star des Albums. Und zwar nicht nur in den ursprünglichen Liedfassungen der vor allem als Klavierstücke bekannten Petrarca-Sonetten und des „Liebestraums“. Die dramatische Entwicklung in Heines „Loreley“ gestaltet Liszt im Klavierpart so dominant und pointiert, dass die Gesangstimme den Text eher melodramatisch rezitieren darf als kantabel aussingen muss.
Jonas Kaufmanns Stimme wirkt ausgeruht
Was Jonas Kaufmann angeht, scheint die Pandemie-bedingte Pause seiner Stimme wohl bekommen zu sein. Sie wirkt ausgeruht, trifft aber mit ihrer guttural-gaumigen Tongebung nach wie vor nicht jedermanns Geschmack. Die wirkt sich vor allem nachteilig aus, wenn Höhen nicht kraftvoll gestemmt werden dürfen wie in der Otello-reifen Attitüde in der Vertonung von Heines wenig charmantem Gedicht „Vergiftet sind meine Lieder“.
In den Petrarca-Sonetten 1 und 3 mit ihren zarten Aufschwüngen sollte man besser nicht an den lyrischen Zauber denken, den etwa Fritz Wunderlich verströmen konnte. Wer in Liszts Liedern kleine Musikdramen sucht, ist recht gut mit Kaufmann bedient, wer delikate Gesangskultur erwartet, weit weniger. Gemäß dem Motto des Albums: „Freudvoll und leidvoll“.