Essen. Die Städte und Gemeinden des Reviers stecken in Finanznöten und unter Haushalts-Auflage der Regierungspräsidien - und wissen häufig kaum noch, wie sie ihre Projekte zur Kulturhauptstadt noch finanzieren sollen. Sechs Monate vor dem Ereignis häufen sich die Hiobsbotschaften.
Wirklich luxuriös war die Kulturhauptstadt 2010 nie ausgestattet. Doch nun droht die Finanzkrise den beteiligten Kommunen den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Nicht nur in der seit kurzem unter Haushaltssicherung stehenden Stadt Bochum sorgen sich Kulturpolitiker, wie man die Projekte für 2010 noch finanzieren kann. Oberhausens Kulturdezernent Apostolos Tsalastras fürchtet gar, dem Sparzwang werde bald die kulturelle Landschaft des Ruhrgebiets zum Opfer fallen: „Am Ende gibt es in der Region nur noch ein oder zwei städtische Theater, eine Philharmonie und eine Oper!”
Nicht immer kündigt sich das Unheil so dramatisch an wie in Bochum. Wenige Tage bevor sich Anfang Juni Herbert Grönemeyer gemeinsam mit Star-Dirigent Steven Sloane zum gemeinsamen Benefiz-Konzert für das neue Konzerthaus aufschwang, dräute den Kulturbeflissenen der Stadt Übles. Der seit Jahrzehnten erträumte und scheinbar zum Grundsteinlegen nahe Bau des Konzerthaus schien von heute auf morgen gefährdeter denn je.
"Was noch umgesetzt werden kann, ist fraglich."
Wegen eines 100-Millionen-Euro-Lochs im Bochumer Etat zog der Arnsberger Regierungspräsident Helmut Diegel die Notbremse und verlangt seitdem von der Stadt eisernes Sparen. „Durch das Wegbrechen der Steuereinnahmen ist Bochum, sind aber auch alle anderen Städte im Ruhrgebiet in einer äußerst schwierigen Situation. Was von den ehrgeizigen Projekten für die Kulturhauptstadt noch umgesetzt werden kann, ist fraglich”, argumentiert denn auch Bochums SPD-Fraktionsvorsitzender Dieter Fleskes und erahnt „dicke schwarze Wolken über der Ruhr 2010”. Konkret sieht Fleskes neben dem Konzerthaus auch den Umbau der Marienkirche zu einem Kammermusiksaal und das Besucherzentrum am Bergbau-Museum gefährdet. Fleskes: „Es ist ein Desaster für Bochum, hat aber natürlich auch Signalwirkung für die Kulturhauptstadt”.
Ein halbes Jahr vor Eröffnung des Kulturhauptstadt-Jahres häufen sich die Hiobsbotschaften. Da fehlen Sponsoren-Gelder in Millionen-Höhe, da stehen Großprojekte zur Diskussion oder sind abgesagt wie die Eröffnungsfeier für Ruhr 2010 in der Schalke-Arena. Und fast nebenbei wird öffentlich, dass das neue Essener Folkwang-Museum, ein Geschenk der Krupp-Stiftung, dem städtischen Haushalt millionenschweren Unterhalt aufbürdet. Von 3,9 Millionen Euro jährlich ist die Rede, und Essens Etat in desolatem Zustand.
Sparen alleine löst nicht das Finanz-Dilemma
Dass bisher allenfalls die Ruhe vor dem Sturm spürbar ist, liegt wohl an den bevorstehenden Kommunalwahlen. „Alle halten sich deshalb noch zurück. Aber ich bin sicher, das große Heulen und Zähneklappern kommt. Das Dilemma der verschuldeten Städte lässt sich nicht allein durch Sparen lösen. Vor allem im kulturellen Bereich würde das der Region den Todesstoß versetzen”, sagt Oberhausens Kulturdezernent Tsalastras.
Dass sich sein Dortmunder Kollege Jörg Stüdemann sich ebenfalls „sehr besorgt” zeigt, dürfte ihm auf Essener Seite unter der Kategorie Neid verbucht werden. Aber Stüdemann ist auch Vorsitzender des Kulturausschusses des Deutschen Städtetages, hat also einen breiten Überblick. So hat es einiges Gewicht, wenn Stüdemann sagt, dass die Region kurz vor dem Jahreswechsel 2009/10 in große Schwierigkeiten geraten wird.
Zusätzlich zu der Tatsache, dass zwei Drittel der Revier-Kommunen unter Haushaltsauflagen stehen, „legt sich jetzt über alles noch die finanzwirtschaftliche Misere. Sinkende Steuereinnahmen, steigende Arbeitslosenzahlen”, so Stüdemann. Wenn es dramatisch komme, dann rechne er damit, dass „eine ganze Reihe von Projekten der Ruhr 2010 nicht verwirklicht werden könne”.
Große Flecken auf der Landkarte
Dortmund selbst sei noch handlungsfähig, habe die Projekte frühzeitig in ihrem Budget berücksichtigt. Viele andere Kommunen jedoch schöben ihr Engagement für die Kulturhauptstadt vor sich her und planten, sie erst im Etat 2010 zu berüchsichtigen. „Wenn die finanzielle Lage sich so weiter entwickelt, wird die Kommunalaufsicht all ihre Zwangs- und Folterinstrumentarien einsetzen. Heißt, sie wird dort kürzen lassen, wo es sich um freiwillige Ausgaben, sprich um Kultur, handelt”, sagt Stüdemann. Seine Prognose für 2010: „Es wird sichtbare Projekte geben, aber dazwischen auch große Flecken auf der Landkarte, wo wenig passieren wird”.