Gelsenkirchen. Familie Probst ist mit ihrem Zirkus in Gelsenkirchen gestrandet. In der Corona-Krise sind die Artisten dankbar für ihren festen Zusammenhalt.

„Ich hoffe, dass meine Kinder später diese Leidenschaft für den Zirkus haben wie ich und die Tradition weiterführen“, sagt Stefanie Probst. Die 33-jährige Mutter zweier Mädchen sitzt im Gastronomiezelt des Familienunternehmens, dem „Circus Probst“. Neben ihr Schwester Sonja, dazu abwechselnd mal der Bruder, mal der Ehemann, etliche Cousins und Cousinen. Auch Mama Brigitte ist dabei.

Training in der leeren Manege: Weil die reguläre Tournee ausfallen muss, hat der Zirkus Probst in Gelsenkirchen seine Zelte aufgeschlagen.
Training in der leeren Manege: Weil die reguläre Tournee ausfallen muss, hat der Zirkus Probst in Gelsenkirchen seine Zelte aufgeschlagen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto


Es sind schwierige Zeiten für den Zirkus, nicht nur für den weltberühmten Cirque du Soleil, der gerade Insolvenz anmelden musste. Auch für Probst und Maatzen, wie ein weiterer Zweig der Zirkusfamilie heißt, ist es hart. Sie betreiben nun den „Projektcircus Proscho“. Nachdem beide Zirkusse coronabedingt die Tournee nicht fortführen konnten und die Existenz gefährdet war, sind sie jetzt im Revierpark Nienhausen gestrandet – um nach langer Pause endlich wieder zu arbeiten. Nach Gelsenkirchen hat es die Familie gezogen, weil man sich hier, nach 25 Jahren Weihnachtszirkus, heimisch fühlt. Die Stadt macht das möglich. Im Gegensatz zu anderen Orten, wie der „Verband Deutscher Circusunternehmen“ kritisiert, da würden sogar bereits zugesagte Plätze nicht mehr vergeben.

In Gelsenkirchen hat die Familie Probst nun ihre Zelte aufgeschlagen – auch für andere Künstler, die den Raum kostenlos nutzen können. Der Zirkus bietet zudem ein besonderes Programm: Es wird allein von der Familie gestaltet. Das gibt es sonst nie und ist der Krise geschuldet, denn für zusätzliche Zirkus-Gastkünstler reichen die Einnahmen nicht. „Wir gehen mit der Krise positiv um“, findet Brigitte Probst. „Ich habe in vierzig Jahren Zirkus Hochs und Tiefs erlebt. Ich weiß, wenn eine Türe zugeht, öffnet sich ein Fenster.“ Und so sind die Überlebenskünstler erfinderisch, bieten nicht nur Vorstellungen für Kinder, sondern künftig auch speziell für Seniorenheime – inklusive Shuttle.

Schon die Kleinsten treten im Zirkus auf

Die Chancen, dass sich die nächste Generation trotz aller Herausforderungen für die Manege entscheidet, sind gut. Daran werde auch die Corona-Krise nichts ändern. Stefanies Tochter, die sechsjährige Celina, steht bereits mit den Eltern in der Manege. „Irgendwann hat sie gesagt, Mama, ich möchte mit euch mit den Ziegen arbeiten. Ich habe zu ihr gesagt, wenn du fleißig übst, das vor der Familie vorführst und die sagen, es ist gut, dann kannst du mit in die Manege.“ Schließlich soll die Vorstellung auch das Publikum berühren. Stefanie Probst ist froh über die Begeisterung der Kleinen. „Jetzt probiert sie Artistik und möchte eine Luftnummer machen.“ Da sei ihr, als Mutter, allerdings schon etwas mulmig.


Stefanie selbst steht im zarten Alter von zwei Jahren erstmals in der Manege. „Als Clown.“ Das scheint der Standardeinstieg zu sein. Auch Schwester Sonja fängt so an, ebenso wie Cousin Mikel Maatz. Brigitte Probst hat eine einfache Erklärung: „Ein Kind wird im Zirkus geboren, wächst da rein und möchte mitmachen. Wo kann man kleine Kinder einbinden?“ Natürlich als Clown in der Manege. Die eigentlichen Talente zeigen sich erst in einem gewissen Alter, sagen alle.

„Ich war schon immer Feuer und Flamme für den Zirkus. Da kam nichts anderes in Frage“

Der Desinfektionsmittelspender gleich hinter dem Clown: Ein Sinnbild für den Zirkus in der Corona-Krise.
Der Desinfektionsmittelspender gleich hinter dem Clown: Ein Sinnbild für den Zirkus in der Corona-Krise. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Während es Stefanie rasch zu den Tieren zieht, will Sonja hoch in die Luft, erobert als Artistin den Raum unter der Zirkuskuppel ebenso wie die Herzen der Zuschauer. Das Talent ist so groß wie die Ambitionen, zahlreiche Preise bei Nachwuchsfestivals belohnen die harte Arbeit. „Sie war ein Stern am Artistenhimmel“, sagt Mutter Brigitte. Bis ein Unfall die Lebensplanung auf den Kopf stellt, den Höhenflug jäh beendet. „Da stellte sich die Frage, ob ich im Zirkus bleibe“, erinnert sich Sonja. Die 36-Jährige bleibt, ist bis heute von ganzem Herzen Zirkusmensch.

Das eint sie alle, die hier am Tisch sitzen. Niemals hätte sich die Frage gestellt, sagen sie. Obwohl sie hätten frei wählen können. „Wir hätten alles studieren können“, sagt Sonja. „Ich war schon immer Feuer und Flamme für den Zirkus. Da kam nichts anderes in Frage“, meint Mikel. Der 29-Jährige ist ein vielseitiger Artist, arbeitet am Trampolin, dem Trapez und den Strapaten, in der Luftakrobatik verwendete Bänder, steht zudem mit einer artistischen Nummer mit Bruder Marlon in der Manege.

Denken sie an ihre Jugend, fällt ihnen allen nur ein Wort ein: „Perfekt.“ „Wir hatten eine wunderschöne Kindheit“, sagt Sonja. „Das möchte ich auch meinen Kindern bieten“, ergänzt Stefanie. Mama Brigitte kennt einen ganz konkreten Vorteil: Man brauche keinen Kinderhort, die Gemeinschaft sei groß, es sei immer jemand zum Aufpassen da. Hier liege aber auch der Haken. „Man ist immer unter Beobachtung“, erzählt Stefanie. „Man muss sich immer abmelden – auch heute noch“, verrät Sonja.

Die neue Liebe im Zirkus geheimzuhalten, ist schwierig - Ausnahme ist Tochter Stefanie

Wie man da erste Verliebtheiten erlebt, den ersten Freund, von dem die Eltern nichts wissen sollen? Das sei schon schwierig, meinen alle. Stefanie Probst aber ist es lange gelungen. Sie lernt ihren späteren Mann im Zirkus kennen. „Er ist als Artist aus Moldawien gekommen – und ich habe ihn nicht mehr weggelassen“, sagt sie und lacht ihr charmantes, offenes Lachen. Dann plaudert Mama Brigitte aus dem Nähkästchen: „Es hat sich zwischen den beiden etwas angebahnt, ohne dass wir es bemerkt haben.“


Jazz-Konzert im Circus Probst wurde zur heißen TanzpartyAufgeflogen sei die junge Liebe durch einen Fernsehbericht. „Da hat uns ein Team besucht. Die haben gefragt, wie es um die Beziehungen unserer Kinder steht. Da sagt mein Mann, um den Andreas muss man sich keine Sorgen machen. Quasi: jedes Städtchen, neues Mädchen. Aber bei der Stefanie, da fließt noch viel Wasser den Rhein runter.“ Alle in der Runde lachen. Denn jetzt kommt die Pointe: Im Beitrag folgt damals genau auf diese Aussage eine Einstellung, bei welcher Sergiu heimlich bei Stefanie in den Wagen steigt. Nach der Ausstrahlung ist es vorbei mit der Geheimhaltung. Seither gehört der Mann zur Familie.

Auch an Weihnachten steht Familie Probst in der Manege

Das Showgeschäft bestimmt das Leben. „Es richtet sich alles nach den Vorstellungen“, sagt Mikel. Gelebt wird dazwischen. „Schlimm ist es an Weihnachten“, sagt Brigitte Probst. Durch den Weihnachtszirkus, ein überlebenswichtiger Geschäftsbereich, sei das Fest der Liebe „Business“. Bescherung? Zwischen Vorstellungen. Ein großes Essen muss aber sein: Da trifft man sich mit 25 Familienmitgliedern im ohnehin festlich geschmückten Vorzelt. „Das Gute ist, man nimmt über Weihnachten nicht mehr zu“, sagt Brigitte Probst – und lacht.