Gelsenkirchen. 50.000 Fans – Herbert Grönemeyer macht in der Schalke-Arena die Hütte voll. Und liefert zweieinhalb Stunden Musik mit Herzblut. Und einem Hänger.

Familientreffen mit Onkel Häbbätt auf Schalke, die Hütte ist mit 50.000 Menschen ausverkauft. Darunter sind gar nicht so wenige Leute, die „Flugzeuge im Bauch“ und „Currywurst“ schon aus dem Laufstall kennen. Aber auch Silberlocken in allen Schattierungen zwischen kastanienbraun und schlohweiß. Die Familie ist eben vollzählig da. „Tumult“-Tour eben.

Seltsame Augen im Ethno-Muster zieren den Rand der Bühne, in der Mitte ragt ein 20-Meter-Steg ins Publikum, rechts und links noch zwei kürzere, und um zwei vor acht beginnen die ersten Cousins und Cousinen zu klatschen und zu pfeifen, zwei nach acht gehen vorne bei den Jüngsten die Arme zur La-Ola-Gymnastik hoch, sechs nach taucht der erste Scheinwerferkegel auf, zwei Minuten später kommen die Musiker aus einem Seitengang, aber es dauert bis elf nach acht, dann geht endlich das Licht aus, von irgendwoher strömt Frischluft durchs Stadion und er schlenderthüpft nach vorn: „Guten Abend, Gelsenkirchen, guten Abend Schalke, guten Abend, Heimat!“ Und: „Wahnsinn“, staunt er, „was für ein Empfang, was für ein Druck!!“

„Sekundenglück“ und Auftaktpech

Es bollert auch gleich imposant los mit „Sekundenglück“. Aber dann Sekundenpech: Beim nächsten Auftakt, zack, der erste Hänger, „geht schon gut los, fang noch mal an!“Aber wir sind ja die nächsten zweieinhalb Stunden unter uns, bleibt doch alles in der Familie, komm. Herbie knödelt, Herbie jödelt, Herbie kiekst, Herbie grönemeyert, was das Zeug hält. Und er nölt. „Da ist noch viel Potenzial“, als der Übungs-Chor zu „Und immer“ ihm nicht laut genug brüllt. Naja, sowas wie „Jeder braucht ein trautes Umfeld, keiner wohnt für sich“ muss man unter Verwandten ja auch nicht so betonen. Und Herbie hat den Vergleich, er war vorher ja in der Schweiz, in Erfurt, Flensburg, Berlin und Hannover. Aber 50.000 sind’s nur hier.

Auf den Rängen hält es immer weniger auf den Sitzen: „Tanzen!“ kommandiert er, als wäre er Herr Bert. Und dann das Steigerlied, Smartphone-Taschenlampen machen die Ränge zum ersten Weihnachtsbaum des Jahres – „Bochum“. Nach „Du bist keine Weltstadt“ ist noch genug Zeit für „Genau wie Gelsenkirchen“. und vielleicht fragt er sich genau wie du, wann all die Metropolenschwätzer endlich begreifen, dass die Menschen hier stolz darauf sind, ohne Schick und Chichi auszukommen, ohne Hochglanzfassaden und Design-Getue.

Nur echt mit dem Witz von gestern

Dirigieren kann er auch: Herbert Grönemeyer auf Schalke.
Dirigieren kann er auch: Herbert Grönemeyer auf Schalke. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Und wie beim letzten Mal erzählt Onkel Herbert dann wieder den alten Witz mit der Umfrage, die ergeben hätte, dass sieben Prozent von uns wegen der Texte kämen, „17 Prozent, weil ich mich so toll bewege, 32 Prozent wegen der Lieder – und 99 Prozent, weil ich so tierisch gut aussehe“ – „Männer!!!“, „Was soll das?“, „Vollmond“, alles ohne Pause, ohne Luft zu holen. Zuletzt holt der grandiose Stephan Zobeley zu einem amtlichen Gitarrensolo aus, für das vielleicht die wenigsten hergekommen sind, aber das tut doch mal gut zwischendurch, bei einem Musiker dieser Qualität allemal. Kurz lässt es Zobeley wieder zum Schluss aufblitzen, klar, bei „Musik nur wenn sie laut ist“.

Und Herbert? Guckt ins Stadionrund, während sein Kleiner-Jungen-Blick sagt: „Bor! Und die sind alle wegen mir gekommen!“ Zwischendurch taucht am Ende des Laufstegs immer mal wieder ein Klavier mit einer 180-Grad-Drehung des Bodens auf und verschwindet dann auf demselben Weg wieder unterm Podium. „Achnee“, fällt Herbert irgendwann auf, „jetzt kommt gar nicht ,Doppelherz‘, sondern erst ,Ein Stück vom Himmel‘! Ich bin schon übereuphorisch, Ihr müsst Euch die Ansage merken“. „Doppelherz“ bringt augenblicklich das gesamte Stadion auf die Beine.

Sein Treibstoff ist Adrenalin - „Keinen Millimeter nach rechts“

Das ist schließlich auch ein politischer Abend, „wir halten dieses Land zusammen,“ sagt Grönemeyer irgendwann, „wir brauchen keinen Rassismus, wir brauchen kein Geschwätz, keinen, aber wirklich keinen Millimeter nach rechts“, brüllt er raus: „Fall der Fälle“. Zu „Alkohol“ nimmt er ein Bad in der Menge, er hat ja andere Drogen. Der Mann ist erregungsgetrieben, sein Treibstoff ist Adrenalin. Zwischendurch kriegt man Sorge, er könnte schon eine Überdosis davon haben und steht kurz davor, dass sein Bruder zum Einsatz kommt – Herbert ist immerhin 63, und das sieht man ihm zwischendurch auch sehr an. Da gehen andere in Rente, und seine 45 Bühnenjahre hat der einstige Theatermusiker von Peter Zadek am Bochumer Schauspielhaus ja auch schon voll.

„Mensch“ zelebriert die Band mit einem orientalischen Calypso-Rhythmus, und irgendwie bringt Grönemeyer auch noch „Wanne-Eickel“ unter, „Castrop-Rauxel“, „Essen“, „Ruhrgebiet“ – bleimse Mensch, das hat ja auch einer gesagt, der hier zu Hause war. „Oh, wie ist das schön“, stimmen die Fans vor dem Zugabenblock an, und Herbert setzt sich ans Klavier und greift dazu in die Tasten.

Doch noch einen Tick schöner als beim letzten Mal

Mannmannmann, es doch noch mal einen Tick schöner als beim letzten Mal, sind wir nicht alle irgendwie Herbert? Und dann singt er „Der Weg“, und vielen verschwimmt der Blick ein bisschen, „bis der Vorhang fällt“. Und immer wieder „Oh, wie ist das schön…“ Ach Herbert, war wieder schön gewesen. Bis nächstes Mal!