Gelsenkirchen.
Die 18 Meter hohe Herkules-Skulptur soll im Winter als Krönung der Kulturhauptstadt den Gelsenkirchener Nordsternpark zieren. Aber zuvor musste der Göttersohn eine aufsehenerregende Fahrt durch das Revier unternehmen.
Beim Jupiter, der Göttersohn reist mit Augenbinde. Blind fährt er durch die Nacht, auf dem Rücken liegend wie ein hilfloser Käfer; Brustgurte halten den starken Rumpf, auch um die Gurgel haben sie ihm Seile geschnürt. Aber immerhin bringen sie ihn nicht mit den Füßen voraus: Herkules hat seinen Weg gemacht von Düsseldorf ins Revier, sein neues – immer der Nase nach.
Der Spediteur muss
es hinkriegen
„Der Göttersohn kriegt das hin“, hat Jürgen Liethen gesagt; und war jener Herkules nicht auch Gott des Orakels? Aber natürlich ist es der Spediteur, der es hinkriegen muss: diesen Schwertransport nach Gelsenkirchen zu bringen, ohne dass die 18 Meter hohe Aluminiumskulptur Schaden nimmt, ohne dass das monumentale Werk des Düsseldorfer Künstlers Markus Lüpertz Kratzer bekommt, ohne dass der Held sich Beulen schlägt oder am Ende einen Kopf kürzer ankommt. Schutzherr des Heils war er zum Glück aber auch.
Eine gute Stunde vor Mitternacht liegt er nun da in seinem Tiefbettauflieger, Herr Herkules, ein fest verschnürtes Paket. Nur ist Hermes, der Götterbote, nicht erschienen, und „eigentlich müsste man ihn besser beamen“, sagt Jürgen Liethen. 4,39 Meter hoch ist sein Liegendtransport von den Haaren knapp über dem Asphalt bis zur Nasenspitze, 5,20 Meter breit, „die Schultern sind die breiteste Partie, wie sich das bei so einem kräftigen Kerl gehört“. Ins Kreuz haben sie ihm Europaletten gestützt, damit er nicht durchliegt. „Formschlüssig geladen“, würden Logistiker sagen, die Polizei aber hat etwas gezweifelt: So ein Gott ist nicht quadratisch-praktisch zu verpacken, den kann man auch schlecht anketten. „Ladungstechnisch fragwürdig“, gestehen sogar die Logistik-Experten, „aber das ist Kunst“, und man führt ja eher selten einen Riesen an der Nase herum.
Achteinhalb Tonnen Totgewicht
In zwei Teilen fahren sie ihn von der Düsseldorfer Kunstgießerei über A 46, A 3 und A 42 durch die Nacht, eskortiert von sechs Helfern in Warnwesten-Gelb. Sie sperren Straßen und räumen ihm Baustellenschilder aus dem Weg. Es begegnen ihnen Turbinenteile unterwegs, viele Kilometer werden sie einem Fertighaus folgen, dies aber ist ein Gott von (über-)menschlicher Gestalt. 5500 Kilo schwer das Hüftstück mit hohlem Kopf, noch einmal 3000 die Beine, und am Mittwoch haben sie ihm noch die Hand nachgereicht. Macht achteinhalb Tonnen Totgewicht, das nun auferstehen soll, zusammengesetzt und angemalt von seinem Schöpfer auf dem Werkstatt-Parkplatz eines pleite gegangenen Autohändlers.
Fremde Wagenlenker steuern den Helden auch durch enge Straßen, wo die Menschen ihn erkennen. „Was soll der Herkules denn in Gelsenkirchen?“, fragt eine junge Frau. Sprachlos aber rollt der durch die Kölner Straße und die Heidelberger, ausgestreckt auf 25 Metern, einen der gewaltigen Füße in der Luft, als wollte er zurück zu den Göttern. Aber in der Tat soll er ja noch hoch hinaus. Spätestens Mitte Dezember wird die Spedition ihm ein letztes Mal unter die Arme greifen, ihn in den Nordsternpark bringen und auf das Dach des alten Förderturms heben: die Krönung der Kulturhauptstadt!
Er steht für Stärke und
passt ins Ruhrgebiet
Auf 33 Tonnen wird Herkules bis dahin zugelegt haben durch ein stählernes Stützkorsett, hundert Meter hoch wird er stehen. Der Koloss von Gelsenkirchen, aber natürlich darf dieser nicht einstürzen und abstürzen schon gar nicht. „Wenn so etwas in Deutschland berechnet wird, dann hält das“, sagt Jürgen Liethen frohgemut. Und der Projektleiter hat gerechnet: 140 Meter hoch wird der Kran für den Hub sein müssen, „so hoch wie der Kölner Dom“ – und allein für dessen Bodenhaftung sollen 50 Lkw mit 800 Tonnen Ballast sorgen.
Was soll man sagen: eine Herkulesaufgabe. Aber gerade deshalb hat Markus Lüpertz die Figur des Herkules ja Modell stehen lassen für seine Skulptur. „Er ist ein Problembeseitiger“, hat er gesagt, „er steht für Stärke und passt damit ins Ruhrgebiet.“ Und von dort oben, frei stehend ohne Augenbinde, wird er das ganze Ruhrgebiet auch sehen können.