Essen. Andrea Camilleri versetzt sich in „M wie Mafia” in den Boss einer ehrenwerten Familie. Das Ergebnis ist dieses Mal kein Krimi, sondern eine Art Lexikon, das sich dennoch spannend liest.

Andrea Camilleri. Foto: afp
Andrea Camilleri. Foto: afp © AFP

Er kann nicht nur historische Romane und Krimis schreiben, nein, Andrea Camilleri erweist sich in „M wie Mafia” auch als intensiv recherchierender, eingängig und trotz des kniffligen Themas humorvoll schreibender Sachbuchautor.

Dass er sich beim organisierten Verbrechen gut auskennt, beweisen die Fälle, die er seinem Commissario Montalbano zur Lösung vorsetzt. Intensiv hat er jetzt die „pizzini”, die Zettel, mittels derer Bernardo Provenzano, der 2006 festgenommene Mafiaboss aller Bosse, über Jahre kommunizierte, analysiert. Dazu zog er andere Betrachtungen über die Mafia heran, sprach mit Menschen, wie dem Provenzano-Jäger Renato Cortese oder dem Ex-Agrigent-Mafiaboss Nicola Gentile, addierte sein Wissen um die Gepflogenheiten seiner Geburtsstätte Sizilien und schuf so ein Lexikon von A wie Abschrift bis Z wie Zichoriengemüse.

Ein Sachbuch, das sich wie ein Krimi liest

Das liest sich wie ein Krimi und charakterisiert den Mann, der über vierzig Jahre aus Verstecken heraus die sizilianische Mafia führte. Denn er gibt Einblick in sein vom Aberglauben und Bibellesen geprägtes Denken, seine Abtauchtaktiken, seine private Familienstruktur. Camilleri beschreibt das Rätsel um Provenzanos bis heute nicht geknackte Geheim-Codes. Er entschuldigt nicht, aber er erklärt, wie sich Provenzano vor sich selbst rechtfertigt. Dabei lässt er eigene Einschätzungen einfließen, wie Mutmaßungen darüber, warum der sonst nie lächelnde Provenzano bei der Nennung des Films „Der Pate” gelacht haben soll.

Andrea Camilleri: M wie Mafia, Kindler, 223 Seiten, 16,90 Euro.
Andrea Camilleri: M wie Mafia, Kindler, 223 Seiten, 16,90 Euro.

Zur Veranschaulichung berichtet der Regisseur Camilleri von einer seiner Inszenierungen über die heilige Katharina von Siena, bei der Klosterschwestern an völlig anderen Stellen lachten als „normale” Zuschauer. Und er rückt die vermeintlich primitive Art der „pizzini”-Korrespondenz ins rechte Licht, stellt sie in eine Tradition, indem er erwähnt, dass der Dichter Gabriele D'Annunzio Liebeskorrespondenz allein mittels privater Boten zustellte und der italienische Rechnungshof wichtige Dokumente von einem „Geher” zustellen lässt.

Schön ist, dass dem Buch einige der „pizzini” angehängt sind, die die verworrenen Mitteilungen dokumentieren, Einblick in die Sprache des Verbrechers geben. Nicht immer lassen sich – wie für ein Lexikon typisch – doppelte Erklärungen unter einem Stichpunkt vermeiden. Dennoch ist „M wie Mafia” gewinnbringende, spannende Lektüre, bei der selbst die Bibliografie zum Weiterlesen verleitet.

Andrea Camilleri: M wie Mafia, Kindler, 223 Seiten, 16,90 Euro