Ruhrgebiet. .
Am Sonntag wird der „Tag der Bibliotheken“ begangen. Von Duisburg bis Dortmund aber schließen Stadtteil-Büchereien. Am ärgsten trifft das ältere Menschen und Familien mit kleinen Kindern, sagen die Experten.
Sonntag ist „Tag der Bibliotheken”. Fast 11 000 gibt es in Deutschland. Gemeinsam verleihen sie jährlich 362 Millionen Medien an 200 Millionen Leserinnen und Leser. Das klingt nach einer blühenden Kulturlandschaft. Freilich ist sie seit langem gefährdet und in Zukunft vielleicht stärker denn je, wie ein Blick auf die Region zeigt.
Das größte Problem: Sparmaßnahmen haben den Rückzug aus der Fläche zur Folge. Es verschwanden und verschwinden vor allem: die Stadtteilbibliotheken, mal unter hartnäckigem Protest (wie in Mülheim Saarn), mal als leiser Tod in jenen Vierteln, in denen ohnehin eher die Machtlosen zu Hause sind.
Die ersten Opfer spitz gerechneter Kultur-Etats: Stadtteilbibliotheken
Einst als probates Mittel erfunden, Literaturversorgung aus größter Nähe zu ermöglichen, zählten Stadtteilbibliotheken zu den ersten Opfern spitz gerechneter Kultur-Etats. Essen etwa hatte mal 22 davon, dazu zwei Bücherbusse. Die Busse fahren nicht mehr, noch gibt es immerhin 15 Stadtteilbibliotheken. Duisburg blickte 1975 noch auf imposante 39 Zweigstellen, bis 2010 schafften es 14.
Man darf die Zahlen leider repräsentativ nennen. In Herne stehen mit zwei Stadtteilbibliotheken gar die letzten ihrer Art auf der Streichliste: 2012 sollen Sodingen und Eickel von der Lese-Landkarte verschwinden. Alles in allem hatte die Stadt an der Emscher mal zwölf Bibliotheken.
Wenigstens in Gelsenkirchen ist man zuversichtlich, dass Buer, Erle und Horst erhalten bleiben. Auch, weil man von Bismarck bis Hassel längst alles dicht gemacht hat. Der letzte Bücherbus wird hier am 31.12. Opfer hoher Umwelt-Auflagen. Sponsoren sichern einen Nachfolger.
„Schmöker-Molly“ ist im Ruhestand
Busse bedeuten gerade in Vierteln, in denen Haushalte mit Büchern keine Selbstverständlichkeit sind, für das, was Ingrid von der Weppen „aufsuchende Bibliotheksarbeit” nennt. Auch Hernes stellvertretende Büchereichefin hat den großen Bücherbus in den Ruhestand verabschieden müssen. Es war „Schmöker-Molly” (Dinge, die man liebt, haben einen Namen). Nach 27 Jahren im Dienst waren er und der TÜV einfach keine Freunde mehr. Aus der Sparnot hat Hernes Bibliothek allerdings eine Tugend gemacht. Ein Modell alter Größe war nicht bezahlbar. Die Nummer kleiner (acht Meter und von jedem Führerscheinbesitzer fahrbar) ist ein Erfolg und bundesweit Vorreiter, weil man sich spezialisiert hat und sogar im Vorschulbereich parkt: Die „Junior-Fahrbibliothek” besucht neben 20 Schulen acht Kindertagesstätten. „Völlig begeistert”, sagt Ingrid von der Weppen, seien die jungen Leser. Und ergänzt nicht ohne Stolz, dass der Anteil von Nutzern mit Einwanderungsgeschichte überaus hoch sei.
Das sind Lichtblicke. Rundherum ist man nah am Verteilungskampf. „Wir haben noch einen Bus, aber dafür keinen Medien-Etat mehr”, sagt ein Bibliothekar vom Niederrhein galgenhumorig. Dass die Lage gespannt ist und täglich neu „auf Kante genäht” – Alltag. Waltraud Richartz-Malmede, stellvertretende Bibliotheksleiterin in Bochum, hat es mit steigenden Ausleihzahlen hier und dem Haushaltssicherungskonzept dort zu tun. Das Stadtteilangebot sei die „Minimal-Ausstattung” und soeben noch „flächendeckend”. Der Realitätssinn der Bibliothekarin zeitigt keine Luftschlösser: „Ich wäre schon dankbar, wenn wir den Status quo über 2015 hinaus halten könnten.”
Ehrenamtliche Hilfe
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Solche Not macht erfinderisch. Als 1995 in Dortmund Wellinghofen klar war, dass die Stadtteilbücherei von der Kommune nicht gehalten würde, hat ein Verein die Leserbetreuung übernommen. Das Projekt um den mittlerweile 84-jährigen Heinz-Hermann Busen hält bis heute. 25 Ehrenamtler sichern vier Öffnungstage. „Ein tolles Engagement, aber letztlich kein Ersatz für eine professionell geführte moderne Bibliothek“, sagt Petra Grübner, stellvertretende Bibliothekschefin in Dortmund.
Doch Wellinghofen ist die Ausnahme. Andere Stadtteilbibliotheken sind weg. „Die harten Einschnitte in einer Stadt, die letztlich aus vielen kleinen Dörfern besteht”, könne man nie gänzlich auffangen. Und wen das am ärgsten treffe, darüber gebe es wenig Zweifel: ältere Menschen. Und Familien mit kleinen Kindern. Dem Erfolgsmotto der Leseförderung von früher ist man damit nicht näher gekommen. Es hieß: „Kurze Beine, kurze Wege!”