Köln. .
Alle zwölf Mal versagte Chinas Regierung dem Autor und Dissidenten Liao Yiwu die beantragte Auslandsreise, in diesem Herbst erlaubte sie sie. Während er im Ausland ist, bekommt sein inhaftierter Kollege Liu Xiaobo den Friedensnobelpreis.
Ein Dissident und Freund von Ihnen ist jetzt Friedensnobelpreisträger. Was empfinden Sie?
Liao Yiwu: Ich habe das nicht erwartet, aber sehr erhofft. Wir wussten, die Chance ist groß. Im Zug haben mein Übersetzer und ich sofort ein Bier aufgemacht, und ich trinke sonst nie am Tag.
Sie waren auf dem Weg zur Buchmesse, zu der Sie im letzten Jahr nicht durften.
Es war genau an dem Tag. Letztes Jahr war China dort als Partnerland mit einer Riesendelegation, über 1000 Leute, das war die Bühne des offiziellen China. Dieses Jahr waren all die Herrschaften verschwunden, die Offiziellen. Man stand da und freute sich für Liu Xiaobo. Ein Gefühl, als könnte sich alles ändern.
Was kann so ein Preis bewirken?
Liu ist ein Kollege, ein Dichter und ein Freund. Ich hoffe, dass er jetzt vielleicht früher wieder frei kommt. Wenn Sie fragen, ob die Dissidenten Einfluss haben: Demokratie liegt uns noch fern. Das ist eine Zukunftssache.
Manche Chinesen sagen, der Friedensnobelpreis für Liu sei eine antichinesische Verschwörung.
Dann würde ich gerne wissen, welches China diese Personen meinen. Mein China mit seiner alten Kultur und seiner Sprache – oder das Regierungsaugen-China. Wer so etwas sagt, der muss schon sehr an die staatliche Propaganda glauben. Aber wie wir bei Twitter oder Facebook sehen können, freuen sich viele, viele Leute über diese Ehrung, manche sind sogar auf die Straße gegangen, oder sie haben Feuerwerkskörper entzündet.
Dass die Regierung Ihnen erlaubte, nach Deutschland zu reisen, wurde eigentlich interpretiert als Signal der Liberalisierung.
Die deutsche Politik und besonders Bundeskanzlerin Merkel haben sich sehr für mich eingesetzt. Aber ich glaube nicht, dass meine Reise ein Zeichen ist, dass sich irgendetwas ändert. Das war keine Frühlingsbotschaft. Sie müssen wissen, dass viele chinesische Autoren, die internationale Preise gewonnen haben, nicht ins Ausland reisen dürfen. Mein Fall sagt gar nichts.
Sie leben von Tantiemen aus dem Ausland und standen lange Zeit unter Hausarrest. Wie kann man sich den Alltag eines Dissidenten vorstellen?
Sehr oft kommen Polizeiwagen zu meinem Haus, aber nicht ständig. Da ich nicht direkt an der Straße wohne, kann ich sie oft kommen sehen und bin dann vorgewarnt. Mein Leben ist (materiell) besser als das von normalen Leuten, von Verkäufern oder Gemüsehändlern. Ich komme viel in Berührung mit den normalen Leuten und spreche mit ihnen. Ich bin nur der Überwachung und dem Psychoterror ausgesetzt, aber ich fühle mich dafür stark genug.
Können Sie abschätzen, was Sie erwartet, wenn Sie im nächsten Monat nach China zurückkehren?
Ich habe schon sehr viel erlebt in der Vergangenheit. Ich denke, ich werde recht gelassen mit allem umgehen, was auf mich zukommt. Aber der Nobelpreis ist eine große Ermutigung für mich, für Liu und für unsere Kollegen.
Vor vielen Monaten habe ich das „Buch der Wandlung“ genommen, ein altes Wahrsagebuch, und habe mir selbst die Wahrsageprozedur gemacht. Sie sagte mir: Dein Wunsch wird wahr, aber dein Ziel wird verletzt. Ich denke, das Schicksal wird mich hin und her werfen.
Ärgert es Sie eigentlich, ständig über Politik reden zu sollen statt über Literatur?
Ich finde das in Ordnung. Politik steht oft im Zentrum der Aufmerksamkeit, anders als Literatur. Für mich ist auch Politik oft eine Frage der Ästhetik: Was die Leute an der Macht schön finden, finde ich nicht schön; und was ich schön finde, finden die Leute an der Macht nicht schön.“