Essen. Der britische Autor Ian McEwan widmet sich dem Klimawandel: Sein Roman „Solar“ ist eine skurrile Wissenschafts-Satire mit ernstem Hintergrund - und der Ton täuscht nicht über das feste Wissens-Fundament dieses Werkes hinweg.
Photosynthese? Das Wort riecht nach Kreidestaub und müden Schulstunden. Dabei könnte diese Art der Energieumwandlung, die Pflanzen so spielend beherrschen, womöglich das Weltklima retten. Das Nachgrübeln darüber übernehmen für uns, zum Glück, führende Forscher – und ein Autor von Weltrang: Der Brite Ian McEwan widmete als erster ein literarisches Werk dem Klimawandel. Heute erscheint „Solar“ auf Deutsch.
Photosynthese? Interessiert den Physiker Michael Beard gar nicht. Einst erhielt er den Nobelpreis, nun aber lebt der Mittfünfziger – mit Ehefrau Nummer fünf und reichlich Übergewicht auf den Knochen – allein davon, dass Briefköpfe diverser Institute seinen Namen tragen. Erst Ironien des Schicksals führen dazu, dass die Sonnenenergie seine Leidenschaft wird: Ein Eisbärfell bringt den Liebhaber seiner Frau zu Fall und um – der Lover bricht sich in Beards Wohnzimmer das Genick. Beard lässt den Unfall wie einen Mord aussehen und hängt ihn einem weiteren Kontrahenten an. Der tote Liebhaber aber war ein junger Wissenschaftler, dessen ehrgeizige Aufzeichnungen Beard erbt. Und sich zu eigen macht.
McEwan ist – trotz allem – ein Menschenfreund
Denn bei einer Arktisreise wurde Beard das ganze Ausmaß der Natur-Katastrophe klar: Die Natur des Menschen ist eine solche Katastrophe, dass mit Rücksichtnahme angesichts von Ressourcenknappheit kaum zu rechnen ist. Nach vier Tagen herrscht im Umkleideraum des Schiffs Chaos. „Alle hatten sich, da sie aufs Eis hinauswollten, ... vollkommen logisch verhalten, wenn sie ihre fehlenden Biwakmützen oder Handschuhe an einer unvermuteten Stelle ‘entdeckt’ hatten.” An den Kleiderhaken der anderen, nämlich. McEwan hat das selbst erlebt, reiste mit einer Künstlergruppe in die Arktis und schrieb über das „Stiefelkammer-Dilemma“: „Gute Wissenschaft mag nützlich sein, aber die Stiefelkammer lässt sich nur durch gute Regeln retten.”
McEwan ist jedoch, trotz allem, ein Menschenfreund. Zwar lässt er Beards Weltenretter-Phantasmen unter Zuhilfenahme abenteuerlicher Wendungen platzen, zwar karikiert er in dieser Farce den Wissenschaftsbetrieb aufs trefflichste – dieses ist der bisher lustigste, leichteste seiner Romane. Doch sorgt sich McEwan durchaus ernsthaft um die Zukunft des Planeten.
Der Ton täuscht nicht hinweg über das feste Wissens-Fundament dieses Werkes: McEwan bindet uns keinen Eisbären auf. Zu seinen Beratern zählte Professor John Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Die künstliche Photosynthese ist in der Tat ein aktutelles Forschungsfeld. Und McEwans Roman lässt unsere Berühungsängste mit diesem Wort dahinschmelzen – wie Arktiseis.