Gladbeck. .

An Ovationen mangelte es nach der Premiere von „Gisela! oder: die merk- und denkwürdigen Wege des Glücks“ in der Gladbecker Maschinenhalle Zweckel nicht. Hans Werner Henze ist ein neues großes Werk gelungen.

Ein neues großes Werk von Hans Werner Henze: Ein würdiger Anlass für „Ruhr 2010“ und die Ruhrtriennale, dem 84-jährigen Meister und sich selbst einen ganz großen Bahnhof zu bereiten. An Ovationen mangelte es nach der Premiere von „Gisela! oder: die merk- und denkwürdigen Wege des Glücks“ in der Gladbecker Maschinenhalle Zweckel nicht. Und im Festzelt erhielt der gesellschaftliche Höhepunkt des Henze-Projekts im Kulturhauptstadtjahr durch die Auszeichnung des Komponisten mit dem „KulturPreis Europa 2010“ auch noch gesamteuropäische Weihen.

Der Meister genoss die Ehrungen sichtlich, sieht sein Werk jedoch etwas bescheidener. Er vermeidet für das 70-Minütige bewusst die Bezeichnung „Oper“ und nennt sein „Geschenk an die Jugend“ schlicht „ein Musiktheater“. Damit wird allen Kritikern, die an der „Gisela“ die dramaturgische Geschlossenheit etwa seines letzten Bühnenwerks, der„Phaedra“, vermissen, der Wind aus den Segeln genommen. Rechtfertigen lässt sich so noch die ein wenig zufällig anmutende Szenenfolge des hölzernen Librettos von Michael Kerstan und Christian Lehnert, nicht aber der eklatante musikalische Bruch zwischen den beiden Teilen. Nach der Pause ist nur noch wenig originaler Henze zu hören. Drei zentrale Traumsequenzen werden mit virtuos instrumentierten, durch das Schlagwerk an Glasperlenspiele erinnernde Bach-Transkriptionen garniert, die zwar Henzes Meisterschaft als Instrumentator bestätigen, dennoch den Eindruck das Halbfertigen nicht ausräumen können. Der Zeitdruck angesichts der unaufschiebbaren Premiere bleibt unüberhörbar.

Stimmungen, Schauplätze, Entwicklungen

Sonst sind Inspiration und Fantasie ungebrochen geblieben. Mit seiner gewohnt sängerfreundlichen Schreibart trifft Henze pointiert Stimmungen, Schauplätze und Entwicklungen. Auch in der spieltechnisch etwas gemilderten Partitur, die schließlich für jugendliche Musiker bestimmt ist, denen rhythmisch, intonatorisch und klanglich jedoch immer noch eine Menge abverlangt wird. Eine farbige Musik mit kraftvollen, schlagzeugbetonten Zwischenspielen und ebenso zarten Passagen, denen ein Chor zusätzliches Kolorit verleiht.

Über die exzellenten Leistungen des „Studios musikFabrik“ als Jugendensemble des Landesmusikrats NRW sowie des Jugend-Kammerchors der Chorakademie Dortmund hat sich Henze schon im Vorfeld enthusiastisch geäußert. Nicht minder über die Studierenden der Folkwang Universität, die sämtliche kleinere Solo-Rollen besetzen. Der Einsatz der jungen Leute zwischen 14 und 30 Jahren, die einen Teil ihrer Sommerferien mit der Einstudierung verbracht haben, kommt Henzes Wunsch entgegen, das Werk als „Geschenk an die Jugend“ verstehen zu sollen. Die Ausführenden haben dieses Geschenk angenommen und wertvolle Erfahrungen aus erster Hand sammeln können. Trifft das jedoch auch auf die „hörende“ Jugend zu, auf potentielle zukünftige Theater- und Operngänger?

Strahlender Dur-Akkord gibt Hoffnung

Vom Kernthema her gewiss: Dem Glück läuft man schließlich in jedem Lebensalter nach. Bei Henze sieht das so aus: Gisela Geldmaier und Hanspeter Schluckebier aus Oberhausen brechen zu einer Studienfahrt nach Neapel auf, bei der zugleich die künftige Trauung vorbereitet werden soll. Am Fuße des Vesuvs verliebt sich Gisela flugs in den schillernden Fremdenführer Gennaro und überredet ihn, nach Oberhausen zu kommen, um dort ihr gemeinsames Glück zu finden. Das Ende bleibt offen: der schwarze Aschenregen des ausbrechenden Vesuvs stimmt skeptisch, der strahlende Dur-Akkord gibt Hoffnung.

Eine an sich gute Handlung, die noch durch Commedia dell’arte-Einlagen und Videosequenzen belebt, wenn auch nicht immer erhellt wird und die Regisseur Pierre Audi und sein Team mit viel Aufwand und Fantasie beflügeln. Eine Handlung, die allerdings durch das steife Libretto eine künstliche Distanz erhält, die den Betrachter und gewiss erst den jungen Neuling nie so recht anrührt. Die mitreißende emotionale Energie, die man von anderen Henze-Werken gewohnt ist, bleibt aus.

Pierre Audi nutzt die räumliche Tiefe der Maschinenhalle Zweckel, um die Gleise des zentral postierten Bahnhofs ins Leere laufen zu lassen. „Endstation Sehnsucht“ lässt grüßen. Drei Würfel dienen als wechselnde Spielflächen und Projektionsflächen für die Videosequenzen. Audi und sein Bühnenbildner Christof Hetzer verbreiten eine Menge Bühnenzauber, aber auch sie können die räumliche und emotionale Distanz nicht überwinden. Man darf gespannt sein, wie sich das Werk demnächst in der Dresdner Semperoper in einem konventionelleren Umfeld bewähren wird.

Standing Ovations für Hans Werner Henze

Die eigentlichen Stars des Abends waren die jungen Leute des „Studios MusikFabrik“, der Dortmunder Chorakademie und der Folkwang-Universität. Sie alle hatten schwierige Aufgaben zu bewältigen, zumal die letzten Teile der Komposition erst zwei Wochen vor der Premiere zur Verfügung standen. Die drei Solo-Partien waren mit Hanna Herfurtner (Gisela), Fausto Reinhart (Gennaro) und Michael Dohmen (Hanspeter) rollendeckend besetzt. Die musikalische Leitung lag in Händen von Steven Sloane, zugleich Leiter des gesamten Henze-Projekts, der mit dieser öffentlichkeitswirksamen Premiere endlich auch einmal ins Rampenlicht treten konnte. Bisher arbeitete er vor allem im Hintergrund, während sich Stars wie Lorin Maazel feiern lassen durften.

Begeisterter Beifall für alle Beteiligten, vor allem für die jungen Künstler, Standing Ovations für Hans Werner Henze.

Die nächsten Aufführungen in Gladbeck: am 28. und 30. September sowie am 2., 3., 6. und 8. Oktober, jeweils 19.30 Uhr (Infos und Tickets: www.ruhrtriennale.de).