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Seit 30 Jahren ist die Unterdrückung der Frauen im Islam ein Thema, das Alice Schwarzer umtreibt – bis heute. „Wir haben uns mit einem falschen Dialog zufrieden gegeben“, sagt sie im Interview.

Um deutliche Worte war Alice Schwarzer noch nie verlegen. Nun aber fühlt sie sich ganz auf der Seite jener, die sie vermeintlich angreift: Viele gläubige Muslime fühlten sich befreit, wenn in der Integrationsdebatte die Islamisten angegriffen würden. Fragen zu ihrem neuen Buch „Die große Verschleierung“ stellte Britta Heidemann.

Freuen Sie sich dass Sarrazin die Integrationsdebatte neu entzündet – oder ärgern Sie sich, weil er polemisiert?

Alice Schwarzer: Ganz ehrlich: Die Freude überwiegt. Denn die Dummheiten, die Sarrazin gleichzeitig mit seiner Kritik an einer schief gelaufenen Integration verbreitet hat – wie die türkischen Gene oder die vererbbare Intelligenz – sind leicht widerlegbar und haben ja auch die angemessene Empörung ausgelöst. Gleichzeitig hat gerade sein Buch einer echten Integrations-Debatte einen starken Impuls gegeben. Übrigens: Ich bemerke bei der Gelegenheit, dass alle Menschen sehr empört sind, wenn über Türken bzw. Muslime biologistische Vorurteile verbreitet werden. Aber dass Frauen angeblich von Natur aus emotionaler und weniger rational sind oder schlechter einparken können etc. – das hat bisher niemanden gestört.

Seit einer Reise in den Iran 1979 ist die Unterdrückung der Frau im Islam Ihr Thema, Sie nennen das Kopftuch eine „Flagge der Islamisten“ und wurden dafür Rassistin geschimpft.

Alice Schwarzer:Ja. Und genau durch diesen fatalen Mechanismus ist bisher eine ehrliche Debatte über eine echte Integration verhindert worden. Vor allem in Deutschland, wo diese selbstverleugnerische „Fremdenliebe“ eigentlich nur die Kehrseite des Fremdenhasses ist. Jahrzehnte lang haben wir uns mit einem „Dialog“ zufrieden gegeben, der ein falscher Dialog war. Es sollte einfach selbstverständlich sein, dass alle Menschen, die bei uns leben, Demokratie, Rechtsstaat und Gleichberechtigung akzeptieren. Und ebenso selbstverständlich, dass wir auch den Zugezogenen und ihren Kindern und Kindeskindern eine echte Chance zur Integration geben.

An welchen Stellen haben Sie das Gefühl, seither etwas bewirkt zu haben? Und wie genau konnten Sie (Teil-)Erfolge erringen?

Alice Schwarzer:Als EMMA 30 wurde, haben mir zwei Deutsch-Türkinnen, nämlich die Rechtsanwältin Seyran Ates und die Soziologin Necla Kelek, unabhängig voneinander einen Brief fast gleichen Wortlautes geschrieben. Nämlich, dass es sie ohne EMMA nicht geben würde, dass sie ohne diese eine Stimme in all den Jahrzehnten ganz allein und verloren gewesen wären. Und sie sind nicht die einzigen. Auf so etwas bin ich stolz.

Sie haben sich in verschiedenen Debatten für die Teilnahme junger Musliminnen am Schwimmunterricht ausgesprochen und für generelles Kopftuchverbot an Schulen, das sind sichtbare Spitzen eines Eisbergs - was müsste man Ihrer Meinung nach ganz grundsätzlich tun, damit Integration gelingen kann?

Alice Schwarzer:Speziell bei den Kindern müssen wir ganz früh beginnen: Sprachtests für Vierjährige (das kann auch so manchem deutschstämmigen Kind nicht schaden) und Gratis-Sprachunterricht, damit die Kinder in der ersten Klasse dann wirklich alle gleiche Chancen haben. Sodann Unterricht für alle in Rechtsstaats-Prinzipien und Gleichberechtigung der Geschlechter. Und keine Ausnahmen von der Schulpflicht im Namen einer anderen Religion oder Kultur. Außerdem müssen den Jugendlichen in den Parallelwelten Alternativen aufgezeigt werden: Unterstützung der Mädchen, die leben wollen wie ihre deutschen Freundinnen; und Angebote für die Jungs, damit sie nicht den islamistischen Verführern in die Fänge geraten, die ihnen 70 Jungfrauen im Himmel versprechen. Kurzum: Gegenangebote zu der Agitation der Islamisten, die in Iran und Afghanistan ausgebildet werden und mit den Öl-Dollars aus Saudi-Arabien wuchern.

Sie schreiben in Ihrem Buch: „Die Islamisten haben nie einen Hehl aus ihren Absichten gemacht, so wenig wie einst die Nationalsozialisten. Auch in Mein Kampf stand ja schon alles drin.“ Dieser Vergleich wird viele gläubige Muslime schockieren - was sagen Sie Ihnen?

Alice Schwarzer:Ich glaube ganz im Gegenteil, dass die Mehrheit der gläubigen nicht fundamentalistischen Muslime erleichtert ist, wenn wir ihnen endlich beistehen. Denn nicht wir, sondern sie sind die ersten Opfer der Islamisten! Doch auch sie haben zu lange geschwiegen, haben sich einschüchtern lassen im Namen einer falschen Solidarität innerhalb der muslimischen Community. Ich habe viele Freunde und Freundinnen, die Muslime sind, manche sogar gläubige Muslime - und sie alle sind erleichtert über meine öffentliche Kritik an den Islamisten.

Warum fällt es uns so schwer, zwischen Islamisten und gläubigen Muslimen zu unterscheiden - und warum fühlen sich Muslime oft generell verurteilt, wenn es um die radikale Auslegung ihres Glaubens geht?

Alice Schwarzer:Ich glaube, das fällt uns schwer, weil da unterschwellig doch noch so ein rassistisches Element ist. Die Fremden machen Angst - und wir machen es uns dann zu leicht. Auch in der öffentlichen Debatte sind bisher kaum Unterschied gemacht worden zwischen Islam und Islamismus. Vor allem aber haben die Parteien der Mitte und der Linken die Menschen mit ihrem oft berechtigten Unbehagen an der schief gelaufenen Integration allein gelassen - und treiben sie damit in die Arme der Rechtspopulisten, die da wenig Skrupel haben. So wie jetzt auch in Schweden.

Das Wort „Ehrenmord“ beschönigt ein Verbrechen - aber auch das „Familiendrama“ hierzulande verschleiert, dass in fast allen Fällen ein Mann der Täter ist. Im Fall Kachelmann sehen Sie auch eine Verhandlung über die Frage, ob sexuelle Gewalt in Beziehungen Privatsache sei - oder doch ein Verbrechen. Sind wir wirklich immer noch an diesem Punkt?

Alice Schwarzer:Genau so ist es. Was bei Muslimen der „Ehrenmord“ ist, ist bei uns das „Familiendrama“. Mit einem Unterschied: Im aufgeklärten Europa handelt der gekränkte oder verlassene Ehemann im Prinzip auf eigene Faust - und nicht im Auftrag eines Clans. - Im Zusammenhang mit dem Fall Kachelmann diskutieren wir endlich über eines der letzten Tabus: die sexuelle Gewalt innerhalb von Beziehungen. Und da gibt es erschreckende Zahlen: Nur acht Prozent aller Vergewaltigungen werden überhaupt angezeigt - und nur jede siebte Anzeige führt zur Verurteilung. Das heißt: In Deutschland wird nur jeder 100. Vergewaltiger bestraft. Wenn wir gleichzeitig bedenken, dass erwiesenermaßen jeder zweite Vergewaltiger der eigene Mann oder Freund bzw. Ex-Mann ist - ja, dann ahnen wir, warum die Debatte um den Fall Kachelmann solche Wellen schlägt.

Noch ein Wort zu Ihrer Prozessberichterstattung im Fall Kachelmann: Sie schreiben auch für die „Bild“, die ja weiterhin täglich eine Frau zum Objekt macht…

Alice Schwarzer:Wenn ich nur noch in vom Frauenstandpunkt aus gesehenen widerspruchsfreien Blättern schreibe würde, dann müsste ich mich, fürchte ich, auf EMMA beschränken… Auch glaube ich, dass der offene Sexismus der Bild-Zeitung für die Leserinnen und Leser leichter zu durchschauen ist als der verdeckte Sexismus so mancher so genannt seriöser Blätter. Doch den Ausschlag für meinen Entschluss, den Fall Kachelmann in Bild zu kommentieren, hat das Ungleichgewicht gegeben. Die Tatsache, dass KollegInnen in Zeit und Spiegel das mutmaßliche Opfer schon Monate vor Beginn des Prozesses zur Lügnerin erklärt haben. Dabei steht bis heute Aussage gegen Aussage. Wir alle kennen nicht die Wahrheit. Und ich möchte dazu beitragen, dass die Unschuldsvermutung für das mutmaßliche Opfer genau so gilt wie für den mutmaßlichen Täter.