Essen. Die faulste aller Enten in Entenhausen wird heute 75 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch, Donald Duck! Ein Gespräch mit dem Literaturkritiker Denis Scheck über eine Comicfigur, die ewig jung bleibt.

Donald Duck wird 75: Was würden Sie dem Erpel im Matrosenanzug zum Geburtstag schenken?

Denis Scheck: Also da ich eine Spielzeughandlung in Entenhausen besitze, würde ich ihm selbstverständlich ein Spielzeug seiner Wahl schenken.

Und welches würde er wählen?

Scheck: Ich glaube er würde sich für eine Dampfmaschine entscheiden. Naja, weil diese Dampfmaschine all’ das an Ausdauer und Energie hat, was ihm selbst abgeht.

Fleißig ist er nicht, der Donald…

Scheck: …Nein, im Gegenteil. Er ist ein Nichtsnutz. Jemand, der sich vor jeder Tätigkeit drückt, die sich bietet. Und fasst er sie doch - wenn auch nur widerwillig - an, dann zerrinnt ihm der Segen seiner Arbeit unter den Fingern wie Wasser.

Denis Scheck

Der Literaturkritiker Denis Scheck studierte Germanistik, Zeitgeschichte und Politikwissenschaften in Tübingen, Düsseldorf und Dallas.

Seit 1997 ist der 44-Jährige Literaturredakteur beim Deutschlandfunk. Außerdem erscheinen seine Rezensionen im Tagesspiegel. Besonders bekannt wurde Scheck durch sein Büchermagazin „Druckfrisch“, das seit 2003 in der ARD ausgestrahlt wird. (lis)

Dennoch hatte er in den letzten 75 Jahren so einige Jobs: Er war Friseur und Glaser, Tiefseetaucher und Regenmacher.

Scheck: Darunter war kein einziger Job, den er behalten konnte. Auch nicht als Bäcker oder sonst was hatte er Erfolg. Er hatte noch nicht einmal Glück als Quizkandidat. Eine meiner Lieblingsgeschichten von Donald Duck ist „Die Quizsendung“. Carl Barks nimmt darin sehr hellsichtig die Szenerie aus „Wer wird Millionär“ vorweg. Donald sitzt am Ende vor dem Fernseher, die Tausend-Taler-Frage lautete: „Welches Tier fängt nachts Mäuse und kann im Dunklen sehen?“. Die Spieler, Donalds Neffen Tick, Trick und Track antworten nach langem Bedenken: „Die Eule“. Unter den schönsten Panels, die Carl Barks je gezeichnet hat, sind diejenigen, die zeigen wie Donald Duck sich windend vor dem Fernseher liegt und den Kindern die richtige Antwort entgegen schreit: „Die Katze, die Katze!“ Auch als Quizkandidat hat er also versagt.

Und hofft in der nächsten Geschichte wieder auf Erfolg – in einem neuen Metier. Aber ist diese ständige Jobwechselei nicht modern?

Scheck: Stimmt, Donald ist die Vorwegname von Richard Sennetts Bestseller „Der flexible Mensch“. Allerdings beweist Donald Duck, dass Flexibilität ein Glück ist und kein Unglück. Donald ist pleite, aber im Grunde glücklich. Er verkörpert die Möglichkeit des Glücks auf Erden. Allerdings ist das ein beschränktes. Es gibt mehrere Geschichten, in denen Donald Reichtum erfährt. Zum Beispiel, wenn er mal einen Tag mit Dagobert tauschen kann. Er weiß jedenfalls zu seinem Glück, dass Geld eben nicht glücklich macht.

Sondern das Scheitern?

Scheck: Zumindest macht es ihn als Figur sympathisch. Natürlich wäre er lieber erfolgreich und würde triumphieren. Es ist ja auch nicht so, dass er immer nur Misserfolge hat. Er hat ja gelegentlich durchaus mal eine helle Stunde. Zumindest als Erziehungsberechtigter für Tick, Trick und Track - er kann sich auch mitunter des eitlen Gustav Gans erwehren. Andererseits ist die Figur Donalds besonders aktuell in Zeiten der Wirtschaftskrise. Er deutet an, dass es jenseits von materiellem Erfolg noch andere Werte für ein geglücktes Leben gibt.

Mit der Liebe hat er’s allerdings auch nicht so. Schließlich ist er der ewig Verlobte, der ewige Junggeselle, der ewig von Daisy Abgelehnte.

Scheck: Aber genau das ist vermutlich sein wahres Glück. Die verstorbenen Übersetzerin Dr. Erika Fuchs, die aus den Carl-Barks-Geschichten große Kunst machte, sagte mir einmal: „Es gibt keinen Sex in Entenhausen und es gibt keinen Tod in Entenhausen.“ Ich habe die Befürchtung, dass beides irgendwie miteinander zusammenhängt. In dem Moment, wo Donald bei Daisy wirklich landen könnte, da würde auch der Tod Einzug halten in Entenhausen und das würden wir den Figuren doch nicht wünschen.

Mithilfe seines Alter Ego, Phantomias, wird der Tollpatsch zum Held. Sind die Phantomias-Geschichten spannend?

Scheck: Das ist schon Renegatentum, der Abfall vom Glauben. Ich will in Entenhausen kein Echo des Superheldentums. Donald hat Züge von einem Charlie Chaplin, von einem Buster Keaton, Züge des ewigen Verlierers, in denen man seine eigenen Niederlagen erkennt und natürlich auch ein bisschen die Schadenfreude ausleben kann. Andererseits ist er eine Figur, an der man die Todsünden durchdeklinieren kann: Donald ist träge, Donald ist gefräßig, Donald ist wollüstig, Donald ist zornig, Donald ist hochmütig, Donald ist neidisch. Und Habgier, naja habgierig ist er eigentlich nicht. Aber gleichwohl ist er so verflucht sympathisch. Warum? Weil wir uns wahrscheinlich in ihm wiedererkennen.

Eine Figur mit Zukunft?

Donald Duck

Seine erste Nebenrolle hat Donald Duck am 9. Juni 1934 in dem Musikfilm „The Wise Little Hen“ (Die kluge kleine Henne).

Es waren die US-Zeichner Al Taliaferro und Carl Barks, die Donald zu einer Kultfigur entwickelten. In Deutschland trat die Ente 1951 unter ihrem amerikanischen Namen auf. Seither hat allein der Egmont-Verlag fast 9000 Donald-Geschichten unter die Fan-Gemeinde gebracht. Übersetzt wurden die meisten der Sprechblasen von der promovierten Kunsthistorikerin Erika Fuchs.

Scheck: Donald ist wie Hamlet und Odysseus unsterblich. Um Gottes Willen: In einer Welt leben, in der die Donaldgeschichten von Carl Barks nicht mehr gelesen würden! Barks wurde schon von den Kindern auf amerikanischen Schulhöfen damals „the good artist“ genannt. Er legte mehr Witz mehr Mühe, mehr Begabung in seine Geschichten als die anderen Künstler. Er hat aus den Comics große Kunst gemacht. Er hat das für Donald gemacht, was Shakespeare fürs Theater bedeutet. Und es kam zu dem Schönsten überhaupt: dass er mit Dr. Erika Fuchs jemanden fand, der seine Texte nochmal durch die deutschen Klassik führte. So ist diese merkwürdige Amalgam entstanden, dass wir Deutschen einen Donald haben wie ihn die Welt noch nicht kennt. Und wir haben eigentlich den tollsten.

Einen, der immer jung bleibt und den ewig gleichen Matrosenanzug trägt?

Scheck: Die Kunst und das Leben berühren sich mitunter. Aber man muss Donald nicht in Trend-Klamotten stecken, damit er aktuell bleibt. In diesem Sinne ist er unseren Modeschüben enthoben. Und als Figur packt er es, ewig jung zu bleiben, weil er auf Sex verzichtet. Deshalb hat der Tod sein Recht über ihn verloren.