Recklinghausen. .

Bei den Ruhrfestspielen legt John Malkovich an fünf Abenden »Bekenntnisse eines Serienkillers« ab. Das Verbrechen als schöne Kunst ist eine seiner Spezialitäten. Ein Porträt des Schauspielers als unberechenbarer Charakter.

Auch er muss mal jung gewesen sein. So richtig jung, mit Flausen im Kopf und Haaren auf dem Haupt statt des kahlen Intellektuellen-Schädels. Oft gesehen hat man John Malkovich so nicht. Einen Rest davon hat Volker Schlöndorffs Verfilmung von Arthur Millers »Tod des Handlungsreisenden« im Jahr 1985 bewahrt, da ist Malkovich als brav gescheitelter Biff Loman Anfang 30 und ganz juvenile Emphase.

Patricia Highsmith schreibt über Tom Ripley, kaum hat sie uns mit ihm in New York bekannt gemacht, lange bevor er Dickie Greenleaf und all die weiteren getötet haben wird: »Irgend etwas Großes muss ihn beschäftigen. Ja, das tat es. Die Gegenwart und die Zukunft des Tom Ripley.« Malkovich war 2002 ein idealer Ripley, weniger erotisch als Alain Delon, nicht so jungenhaft hinterrücks wie Matt Damon, aber souverän und raffiniert. Die Beschäftigung mit sich selbst als große Angelegenheit scheint er durchaus auch zu betreiben. Es gibt sein Image, und es gibt ein Unterlaufen dieses Images, was es letztlich nur noch befestigt.

Mit dem Gestus des Dandys und der Attitüde ironisch-spöttischer Arroganz

John Malkovich. Foto: Philipp Guelland/ddp
John Malkovich. Foto: Philipp Guelland/ddp

Der Gestus des Dandys und die Attitüde ironisch-spöttischer Arroganz bekommen bei Malkovich Unterstützung durch die betont bedächtige, überraschend hoch geführte Stimme, die in ihrer fein gesteuerten Monotonie hypnotischen Sound entwickelt. Der Mund will nicht ganz passen: ein wenig zu klein, zu schmallippig und gespitzt maliziös, insofern allerdings wie geschaffen für die Sarkasmen und geschliffenen Bonmots, die man meist weniger dem Drehbuch, als Malkovichs eigenem Witz zubilligen möchte.

Die Brüder Coen haben bewusst gegengesteuert, indem sie Malkovich einen ziemlichen Idioten spielen ließen. In der Agenten-Komödie »Burn After Reading« checkt er als cholerischer CIA-Zuträger nicht viel. Die Besetzung funktioniert nur deshalb, weil der Zuschauer den Kontrast mitdenkt und die Figur mit seiner gespeicherten Vorstellung von Malkovich vergleicht: die der Intelligenzbestie. Das Klischee wird nicht einfach perforiert, sondern zugleich fixiert.

Wie Demontage und Persiflage der Bestätigung dienen und einen Akteur – in den Trümmern seiner Persönlichkeit – ganz zu sich selbst finden lassen, zeigte »Being John Malkovich« von Spike Jonzes. Die manipulativ trickreiche Komödie führt einen Puppenspieler (John Cusack) ins Hirn des John Horatio Malkovich (der unser alle Idee von ihm spielt), so dass während des parasitären Trips die Begriffe von Identität, Geschlechterrollen, Berühmtheit, Sterblichkeit und freiem Willen ins Schleudern geraten. Ein Sonderfall in der Geschichte des Kinos, der nicht einmal größten Idolen zuteil wurde. Brando, Dean, Nicholson, Cruise waren und sind noch zu konform mit ihrem Star-Körper, als dass sie ihn dergestalt auf den Seziertisch gelegt hätten.

Psychopathen, sardonische Schurken, galante Dunkelmänner und Exzentriker

Schauspieler John Malkovich bei einer Fotoprobe in Hamburg zum Theaterstueck
Schauspieler John Malkovich bei einer Fotoprobe in Hamburg zum Theaterstueck "The infernal Comedy - Confessions of a serial killer". Foto: Philipp Guelland/ddp

Identifikation ist nicht mehr absolut systemrelevant in Hollywood, zumindest abseits vom Mainstream. Dort treibt sich der 1953 in Illinois geborene Malkovich, der in seiner Wahlheimat Frankreich lebt, am liebsten herum.

Allerdings hält er sich die Figuren vom Leib, die ihn berühmt machten: die Psychopathen, dämonischen Verderber, sardonischen Schurken, galanten Dunkelmänner und Exzentriker. »Schwarze Seiten der Seele« würden ihn »eher im philosophischen Sinne« interessieren. Solch einen Charakter zu formen, sei »Technik«, sagt Malkovich – ein Täuschungsmanöver, Strategie dank Instinkt und Intuition. Täuschung als Talent. Der talentierte Mister Malkovich erklärt es zur Methode – eine Gemeinsamkeit mit seiner Schurken-Galerie.

Der blasierte Vicomte de Valmont, der in den »Gefährlichen Liebschaften« die Adelsdamen des Ancien Régime galant in Tod und Verzweiflung treibt; der snobistische Gilbert Osmond, der in Henry James’/Jane Campions »Portrait of a Lady« seiner Ehefrau Nicole Kidman mit kultivierter Kälte begegnet; der düstere Oger und »Unhold« in Schlöndorffs Adaption von Michel Tourniers »Erlkönig«, der unterm Hakenkreuz zu seiner Bestimmung als Knaben-Fänger findet; der morbide Aussteiger in Paul Bowles’/Bertoluccis »Himmel über der Wüste«. Der Maler Klimt, der Filmregisseur Murnau – brillante Köpfe. 60 Filme. Selbst unterkomplexen Charakteren gewinnt er nonchalant noch etwas ab, ob im historischen Kostüm als Jekyll-Hyde-Schizo oder als Attentäter und Terrorist (»In the line of fire«).

Malkovich fühlt sich geprägt vom politischen Kino der 70er Jahre

Der Sohn jugoslawischer Einwanderer verliebte sich als Student in eine Schauspielerin, will so die Kontrolle über die Ereignisse verloren haben und in die Theaterwelt hineingezogen worden sein. Mit einem Freund gründete er 1976 in Chicago das »Steppenwolf Theater«, in Anlehnung an Hesse und dessen Romanfigur Harry Haller, dem sich im magischen Raum die Grenzen zwischen bürgerlicher Existenz und Künstlernatur auflösen. Jahrelang spielte und inszenierte er an Bühnen, bevor sein Hollywood-Debüt (Robert Bentons lieb romantische »Places in the Heart«, 1984) eine Oscar-Nominierung brachte. Malkovich fühlt sich geprägt vom politischen Kino der 70er Jahre und votiert gegen modeästhetische Trends, die den Schauspieler wie ein Model aus der Werbung aussehen lassen.

Das Unberechenbare bleibt sein kalkuliertes Kapital. Die Summe daraus zieht »The Infernal Comedy – Confessions of A Serial Killer«, mit der Malkovich bei den Ruhrfestspielen gastiert. Der Mörder als exquisiter Verführer und geschmeidiger Lügner im weißen Anzug, der in erotische Pas de Deux mit seinen Opfern fällt und ›Komm, süßer Tod‹ zu flüstern scheint. Malkovich spürt dem authentischen Fall des charming Jack Unterweger in einer von Orchester und zwei Sopranistinnen unterstützten »posthumen Lesung« nach. In dem Mono-Melodram (verfasst und inszeniert hat es Michael Sturminger) kommentieren Arien von Vivaldi, Mozart, Beethoven, Haydn, Weber – »Ah, Perfido« – die Untaten des österreichischen Blaubarts.

Der 24-jährige Unterweger bekommt Lebenslänglich, nachdem er eine junge Frau mit ihrem BH stranguliert hat. Im Gefängnis beginnt er zu schreiben. Wiens geistige Elite, darunter Ernst Jandl und Elfriede Jelinek, reichen eine Petition für diesen anderen Jean Genet ein. Nach 16 Jahren kommt er frei – eine Kulturleistung. Neun Monate später wird die erste tote Prostituierte gefunden: stranguliert. Es folgen knapp ein Dutzend Leichen, bis Unterweger verhaftet und erneut verurteilt wird und sich in seiner Zelle in Graz erhängt.

Es ist, als habe die Rolle des elegant legeren Entertainers auf John Malkovich gewartet: John – Jack – Don Juan – Jack the Ripper.

Text: Andreas Willink

Erschienen in der K.West-Ausgabe Mai 2010