Essen. Sachbücher über China und seine Rolle in der Welt lassen ahnen: Nicht der ganz schnelle Aufstieg, aber doch eine mittelfristige Einbindung ins weltpolitische Geschehen stehen unmittelbar bevor. China präsentiert sich als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse 2009
Chinas unmittelbar bevorstehender Aufstieg wird ungefähr seit Marco Polo beschworen, aber inzwischen ist tatsächlich etwas Bewegung in die Sache gekommen.
Es geht jetzt nämlich nicht mehr nur um Wirtschaft: „Ich weiß noch, wie (um die Jahrhundertwende) fast jedes Problem eine chinesische Dimension bekam: die Entwicklung in Afrika, die Strukturreform der Uno, die Welthandelsgespräche, das iranische Atomprogramm, der Völkermord in Darfur, der Ölpreis in Venezuela”, schreibt der Publizist und Politik-Wissenschaftler Mark Leonard („Was denkt China?”, dtv, 200 Seiten, 14,90 Euro). Chinesen, überall Chinesen also; nach Leonards gut lesbarer Prognose wird dennoch nicht der Hamburger durch Dampfbrötchen ersetzt oder CNN durch CCTV (China Central Television), sondern „die Medien der Welt werden genauso besessen über die Pläne der Neocomms für Zentralasien berichten wie über die der amerikanischen Neocons für den Nahen Osten”. Das meint die Einbindung Chinas in die Welt – ein gutes Ende.
Jetzt rettet es den Kapitalismus
Petra Kolonko wäre da nicht so sicher: „Auf dem Weg zu einer ,Demokratie mit chinesischen Besonderheiten' kommt China nur langsam voran”, schreibt die FAZ-Korrespondentin in ihrem Buch „Maos Enkel” (C.H.Beck, 282 Seiten, 19,90 Euro). Die wachsende Bedeutung des Landes demonstriert sie mit einem Schüttelreim (im Chinesischen), der kursierte, als die Wirtschaftskrise begann: „1949 hat der Sozialismus China gerettet, 1978 der Kapitalismus, 1989 hat China den Sozialismus gerettet, jetzt rettet es den Kapitalismus.”
Ansonsten blickt Petra Kolonko freilich mehr auf Chinas Alltag als auf die Weltpolitik, mit der Ein-Kind-Politik befasst sie sich und mit Staudämmen, mit Bauboom und mit Konkubinen.
Wenn Sie auf der Straße einen Menschen sehen und denken ,Oh, ein Chinese', dann ist das sicher ein Han-Chinese: Sie prägen unser Bild, wie ein Chinese aussieht. Das ist auch richtig so, denn mehr als 1,2 Milliarden Menschen in der Volksrepublik sind Han, die lächerlich wenigen anderen 100 Millionen verteilen sich auf 56 Minderheiten. Diese nun alle vorzustellen, ist das Verdienst von Klemens Ludwigs „Vielvölkerstaat China” (C.H.Beck, 192 Seiten, 12,95 Euro). 310 000 Naxi kommen ebenso dort vor wie 30 000 Ewenken oder 3000 Lhoba. Aber Ludwig geht weiter, indem er die Minderheitenpolitik von Beijing erklärt, zwischen positiver Diskriminierung und polizeilicher Unterdrückung der Tibeter und der Uiguren. Die anderen großen Minderheiten sind derart sinisiert, dass sie praktisch verschwunden sind: Die Mandschuren etwa stellten als Eroberer 300 Jahre lang die letzte kaiserliche Dynastie bis 1911, sie zwangen die Chinesen, den Zopf zu tragen – aber eigentlich sind die Mandschuren dabei Han geworden und tragen selbst den Zopf nicht mehr. Im Prinzip genau so stellt sich China auch die tibetische Zukunft vor.
Mit „Riesenreich-Augen”
Vorurteile über China abzuräumen, hat sich der Journalist und Satiriker Christian Y. Schmidt vorgenommen mit seinem Band Bliefe von dlüben (Rowohlt, 224 Seiten, 14,90 Euro): kurzen Kolumnen, die in Titanic und taz erschienen sind. Das gelingt ihm äußerst unterhaltsam, hier ein Zitat zu den Grundregeln chinesischen Fotografierens: Auf Fotos werden „auch gern dicke Ausländer zu den Blutsverwandten gestellt, vorzugsweise Frauen mit großen Brüsten. Das verspricht Wohlstand im nächsten Leben.” Nein, Chinesen sind nicht höflich und leise, sondern sie sind laut, lustig und ruppig; und Beijing ist längst nicht so riesengroß, wie immer getan wird. Am Stadtrand hat Schmidt ein Gelände entdeckt, auf dem berühmte ausländische Gebäude nachgebaut sind. An einem Modell von Neuschwanstein steht da, das Original stehe „on the southeast of Bonn City”. Schmidt: „Gar nicht so falsch, wenn man Deutschland mit Riesenreich-Augen betrachtet.”