Hagen. Lächelnder Hitler, geschundene Kinder: Das Osthaus-Museum zeigt große Werkschau des Malers Gottfried Helnwein. Warum er polarisiert.
Kinderhaut, so zart und rein. Feinripp-Unterwäsche, so sauber und unschuldig. Davon träumen Päderasten. Der Maler Gottfried Helnwein zeigt das Danach: verletzte, blutüberströmte, bandagierte Mädchen. Bedient er damit perverse Phantasien? Handelt es sich um Voyeurismus? Oder um eine Anklage gegen Gewalt, hyperrealistisch-meisterhaft gemalt auf übergroßen Leinwänden? Helnwein zählt zu den wichtigsten Künstlern unserer Zeit, und er polarisiert wie kein zweiter. Seine Bilder schockieren, in vielen Museen werden sie mit Warnhinweisen gezeigt. Das Osthaus-Museum in Hagen widmet dem 75-jährigen Österreicher jetzt eine große Werkschau, die direkt aus der Wiener Albertina stammt. Es ist die letzte große Ausstellung des scheidenden Museumsdirektors Dr. Tayfun Belgin.
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Auf den ersten Blick fasziniert an den Arbeiten von Gottfried Helnwein das Handwerkliche. Jede Wimper, jede Schattierung der Iris, jeder Blutstropfen ist so fein auf die Leinwand gebracht, dass Fotografen vor Scham erblassen. Doch was hyperrealistisch daherkommt, bildet in Wahrheit keine Realität ab, sondern eine surreale Imagination in einer alptraumgrauen Farbwelt. Helnwein spielt durchaus provokant mit den Erwartungen des Betrachters. Seine Bildgeschichten sind ambivalente Kommentare zum Zeitgeschehen, denn sie entstehen immer wieder neu im Kopf des Publikums. Helnweins Kunst besteht darin, Erwartungen zu unterlaufen und zu verstören, das Vertraute subtil zu verfremden, das Entsetzliche nicht zaghaft anzudeuten, sondern brutal herauszustellen.
Kinder mit blutigem Gesicht
Und so sind es vielleicht gar nicht die überlebensgroßen Kinder mit den blutverschmierten Gesichtern oder den Maschinenpistolen im Anschlag, die am heftigsten schockieren. Sondern das Bild eines entspannt lächelnden Adolf Hitlers, der gegenüber einer zähnefletschenden Minnie Mouse in die Hocke geht. Hinter ihm befinden sich die Schutt- und Leichenberge einer kriegszerstörten Stadt. „Encounter 2 (Der Mann, der lacht)“ heißt die Arbeit, die davon erzählt, wie sich der Massenmörder von seinem anstrengenden Tagwerk erholt: mit Donald Duck-Filmen. Die Banalität des Bösen trifft mitten ins Herz.
Donald Duck und sein Zeichner Carl Barks spielen eine prägende Rolle in Helnweins Biographie. Aufgewachsen im engen katholischen Milieu des noch russisch besetzten Nachkriegs-Wiens beschreibt er die Begegnung mit den Disney-Comics als Kulturschock und Befreiung zugleich. In seinem ersten berühmten Werk geht es ebenfalls um eine Befreiung: „Der Schrei“, ein Selbstporträt mit bandagiertem Kopf von 1982, wurde zum Cover des Scorpions-Album „Blackout“ und machte Helnwein quasi über Nacht weltbekannt.
Spiel mit den Erwartungen
Die Nazi-Bilder von Helnwein spielen besonders subtil mit den Erwartungen. Man könnte dem Künstler vorwerfen, er huldige mit seinen Großformaten einer verbrecherischen Ästhetik. Doch Hitler-Pilger werden keine Freude an den Gemälden haben. Die Orden und Uniformabzeichen sind derart hyperrealistisch dargestellt, dass sie zur Unkenntlichkeit verschwimmen, und bei den Motiven bleibt die Anbetung im schockstarren Halse stecken. Während der Künstler in Wien aufwuchs, war die Brutalität der Nazizeit kein Thema. Für ihn war es nach eigenen Angaben eine grundlegende Erschütterung zu erfahren, wie Kinder und Erwachsene in den KZ und Versuchsanstalten für abscheuliche wissenschaftliche Experimente gequält und gefoltert wurden, als „unwertes Leben“ oder weil sie die falsche Chromosomenkombination oder Familienzugehörigkeit hatten. In einem vier Meter hohen Riesenformat marschieren die NS-Größen vor der Kulisse eines Reichsparteitagsgeländes auf. Hinter ihnen erheben sich die Stelen einer größenwahnsinnigen Baukunst. Doch auf den Säulen lodern keine heroischen Flammenbecken, sondern es qualmt der fettige Rauch der Vernichtungsöfen.
Häufig malt Helnwein seine Gemälde nach Fotodokumenten, so auch „Epiphanie 1 (Die Anbetung der Könige)“, das identifizierbare NS-Täter zeigt. Im Original-Foto versammeln sich diese um Adolf Hitler, der im Bildzentrum steht. Das Gemälde ersetzt diesen durch eine arische Madonna, die einen Adolf-Knaben auf den Knien präsentiert. Die hochrangigen Offiziere begutachten ihren Heiland wie ein Stück Fleisch beim Metzger.
Eine antike Opferszene von unfassbarem Schrecken präsentiert hingegen „Epiphanie 3 (Die Darstellung des Herrn im Tempel)“. Nach dem Alten Testament muss der Erstgeborene im Tempel ausgelöst werden, durch die Opferung eines Schafes oder einer Taube. Hier ist ein zartes Mädchen das Opfer. Es liegt im weißen Taufkleid rücklings auf einem Altar. Darüber beugen sich Gesichtsversehrte des Ersten Weltkrieges; Männer, die durch Granatsplitter Teile ihres Gesichts verloren haben und fortan schrecklich entstellt weiterleben müssen. Historiker schätzen, dass diesen Verstümmelungen Millionen von jungen Männern auf allen Seiten zum Opfer fielen. Sie waren gesellschaftlich geächtet wie Monster. Und diese Monster reihen sich im Bild um das unschuldige geopferte Kind. Kann es sie von ihren Qualen erlösen? Hilft das Opfer überhaupt oder ist es nur ein weiterer Gewaltakt inmitten einer von sinnloser Gewalt zerrissenen Welt?
Jüngere Bilder zeigen Kriegsszenen aus dem Nahen Osten, brennende Öllager, zerbombte Wohnhäuser und davor scheinbar gänzlich unberührte tanzende Manga-Mädchen. Hier verschwimmen erneut Realität und Fiktion. Im Comic, im Disney-Film, können schrecklichste Ereignisse den Helden nichts anhaben. Sie stehen wieder auf, als wäre nichts gewesen. In der Realität ist ein Kind mit einem Sturmgewehr in der Hand ein Mörder. Und wen es erschießt, der wird nie wieder lebendig. Das macht die Gewalt aus den Menschen.
Ausstellung: Gottfried Helnwein: Realität und Fiktion. Osthausmuseum Hagen, 17. März bis 30. Juni. www.osthausmuseum.de