Hagen. Seine Bilder zeigen krasse Gewaltdarstellungen und sind umstritten. Warum Gottfried Helnwein sie trotzdem malt, verrät er im Interview.
Für Tayfun Belgin ist der Mann einer der wichtigsten lebenden Künstler überhaupt. Deshalb zeigt der Direktor des Hagener Osthaus-Museums ab März eine große Werkschau des österreichischen Malers Gottfried Helnwein. Die meisten Bilder kommen aus der Wiener Albertina, wo Helnwein derzeit die Säle füllt. Für viele Kunstexperten ist der 75-Jährige ein umstrittener Maler, denn er bringt verletzte und misshandelte Kinder hyperrealistisch auf die Leinwand. Wird Helnwein in Hagen also zum Triumph oder zum Skandal? Das fragt die Redaktion den Künstler.
Anlässlich der Ausstellung in der Albertina gab es Medienberichte, wonach Sie Mitglied der Scientology-Sekte seien. Stimmt das?
Ich habe mir noch nie sagen lassen, was ich denken soll. Ich denke selbst, ich brauche keine Gurus. Diese Verleumdungen verfolgen mich seit vielen Jahren, und ich habe dagegen beim Bundesverfassungsgericht geklagt, und die Richter haben 1998 entschieden, dass meine Persönlichkeitsrechte eindeutig verletzt wurden. Damit war der Fall für mich erledigt und ich äußerte mich nicht mehr zu der Thematik. Zehn Jahre lang war Ruhe, und pünktlich zur Ausstellung in der Albertina gingen die Verleumdungen wieder los. Ich kann sagen, dass ich keinerlei Verbindungen zu irgendeiner Scientology-Organisation in Deutschland habe.
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Ihre Bilder sind umstritten. Denn sie zeigen Gewalt an Kindern.
Die Leute reagieren sehr emotional auf meine Kunst, sie lässt die Betrachter nicht kalt. Dieses Phänomen begleitet alle großen Künstler. Ich respektiere jede Reaktion auf meine Bilder. Für mich ist Kunst ein Dialog. Der Betrachter ist genauso wichtig wie ich; und ich habe mein Publikum immer sehr ernst genommen. Ich habe immer Gegenwind gehabt, von Anfang an, aber ich habe das auch als Vorteil empfunden, weil es einen zwingt, genau zu überprüfen, wofür man steht.
Kommen die negativen Reaktionen vielleicht, weil zu wenig erklärt wird, was Sie mit ihren Gemälden ausdrücken wollen?
Ein Kunstwerk muss sich selbst erklären, und es muss etwas auslösen, was immer das ist, Freude, Empörung, Tränen, es muss sich etwas tun. Bilder haben Macht über Menschen, man kann Dinge berühren, von denen man gar nicht wusste, dass sie da sind. Ich habe in den 40, 50 Jahren meiner Laufbahn wirklich anrührende Reaktionen erlebt, die Menschen weinen vor meinen Bildern. Das hat mich immer motiviert, weiterzumachen, daraus habe ich gelernt, dass meine Arbeit doch Sinn hat. Und ich habe aus diesen Reaktionen auf die Bilder mehr gelernt als auf der Universität.
Es sind aber schon heftige Szenen, die sie malen.
Meine Arbeit hat viel mit dem Thema Gewalt zu tun und der Verletzlichkeit des Menschen. In meiner Jugend habe ich intensiv zum Holocaust recherchiert, das ist zum Thema meiner Kunst geworden. Gewalt findet in erster Linie gegen Frauen und Kinder statt. Meine Bilder sind ein Appell gegen Gewalt.
Mit Gewaltdarstellungen tun sich Museen heute schwer, sie werden mit Warnhinweisen versehen. Auch in Hagen wird es vermutlich an der Kasse einen Warnhinweis geben. Ärgert Sie das?
Die Kuratoren stellen oft die Frage, ob meine Themen die Besucher nicht zu sehr erschüttern. Die seit neuestem üblichen Warnhinweise kommen aus England und den USA, das ist Cancel Culture, diese ständige Bevormundung des Menschen. Das kommt aus dieser puritanisch-calvinistischen Tradition Amerikas. Diese bilderfeindliche Tradition ist immer noch da.
Warum sehen Sie die Debatte um Warnhinweise und Kontextualisierungen so kritisch?
Es kommt immer wieder vor, dass Kunst zensiert wird, und zwar nicht von Rechts, sondern von Links. Unter dem Vorwand, jemanden beschützen zu wollen, werden Leute bevormundet. Man erkennt das nicht so leicht, wenn es von der linken Seite kommt, und in der Kunst macht man es immer zuerst, das ist ein Warnsignal. Freie Meinungsäußerung ist das Prinzip der Demokratie, und in der Demokratie muss es auch die Freiheit geben, etwas Falsches zu sagen. Ich halte es für gefährlich, wenn wir das verlieren. Das Leben ist viel lustiger, wenn es viele unterschiedliche Leute gibt, als wenn alle im Gleichschritt marschieren.
Gottfried Helnwein
Der österreichische Maler Gottfried Helnwein ist im Nachkriegs-Wien über Donald Duck zur Kunst gekommen. Seine Beschäftigung mit dem Holocaust führte ihn zu Fragen, wie: Warum vergewaltigen Menschen eine Dreijährige, warum presst jemand ein Kleinkind auf eine glühende Herdplatte? Das bekannteste Bild von Helnwein hängt als Poster in unzähligen Wohnungen. Es zeigt James Dean kurz vor seinem Tod unter dem Titel „Boulevard of Broken Dreams“. Helnwein lebte 12 Jahre lang auf Schloss Burgbrohl in der Eifel, bevor er nach Irland übersiedelte.
Gottfried Helnwein: Realität und Fiktion. Ausstellung im Osthaus-Museum Hagen vom 17. März bis 30. Juni. www.osthausmuseum.de