Eslohe/Menden. Thomas Jessen aus Eslohe ist der Porträtist der Bischöfe. Aber er malt auch Schützenköniginnen und Nachbarn. Jetzt kann man sie sehen.

Das Porträt, in Öl auf die Leinwand gebracht, gilt als Privileg von Fürsten, reichen Unternehmern oder Bundeskanzlerinnen: Thomas Jessen sieht das anders. Der bekannte Kirchenmaler aus Eslohe gilt als einer der besten Porträtisten in Deutschland. Jetzt bringt er Nachbarn, Freunde, Schützenköniginnen und Haushaltshilfen ins Bild - unter dem Titel „AnWesen“ im Museum Gut Rödinghausen in Menden. Anschließend wandern die Gemälde durch die Pausenräume von Sauerländer Betrieben. Zum Finale treffen sich dann alle Arbeiten wieder im Kloster Bredelar in Marsberg.

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Das Porträt ist eine kniffelige Kunst. Denn hier ist nicht nur der Protagonist des Bildes mitunter nackt, sondern immer auch der Maler, und das gleich mehrfach im übertragenen Sinne. Das Handwerk muss stimmen. Wer keine Haare oder Hände zeichnen kann, wird es im Porträt nicht verbergen können. Die Chemie sollte stimmen. Posieren, eine Maske tragen, etwas vorspielen kann man vielleicht vor der Kamera, aber nicht gegenüber dem Maler. Und das gemalte Porträt ist einzigartig. Es lässt sich nicht vervielfältigen. Selbst der beste Meister wird nicht zwei gleiche Bilder derselben Person anfertigen können. „Das Besondere am Porträt ist der Mensch“, sagt Thomas Jessen. „Der Andere muss sich öffnen. Man begegnet einander zutiefst menschlich. In der Begegnung, wenn ich etwas Echtes treffe, dann ist dieser Mensch für mich schön.“

Beim Porträt geht es erstaunlicherweise um Vergänglichkeit, um den Tod. Jessen weiß: „Was ein gutes Porträt ausmacht, ist, dass sich zwei Menschen in dem tiefsten Wissen begegnen, dass sie vergänglich sind. Und wenn ich meine Protagonisten im Inneren treffe, dann fühlen die sich auch getroffen. Die haben ja ein anderes Bild von sich. Aber das, was sie eigentlich sind, das ist das Berührende.“

Und wenn ich meine Protagonisten im Inneren treffe, dann fühlen die sich auch getroffen. Die haben ja ein anderes Bild von sich. Aber das, was sie eigentlich sind, das ist das Berührende.
Thomas Jessen, Maler

Der Mensch geht, das Porträt bleibt. Das ist der Sinn hinter Ahnengalerien. Die zeitliche Dimension eines Porträts thematisiert Thomas Jessen häufig mit mehreren Bild-Ebenen, zum Beispiel mit Zitaten aus dem Fresko „Der Triumph des Todes“ von Buonamico Buffalmacco oder das „Begräbnis der Hl. Lucia“ von Caravaggio. Die Botschaft ist deutlich. Indem wir uns der Vergänglichkeit bewusst werden, sollen wir das Leben leben.

Der Maler Thomas Jessen in seiner Ausstellung auf Gut Rödinghausen in Menden. Rechts ist Kardinal Meisner zu sehen. Im Hintergrund ein Doppelporträt, das Theresia von Westrem zusammen mit der Mendener Kulturamtsleiterin Jutta Törnig-Struck zeigt.
Der Maler Thomas Jessen in seiner Ausstellung auf Gut Rödinghausen in Menden. Rechts ist Kardinal Meisner zu sehen. Im Hintergrund ein Doppelporträt, das Theresia von Westrem zusammen mit der Mendener Kulturamtsleiterin Jutta Törnig-Struck zeigt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Thomas Jessen ist ebenfalls der Schöpfer des Marienaltares in Drolshagen, der seit 2021 viele Besucher in die dortige St.-Clemens-Kirche lockt. Es gab unter anderem negative und sogar aggressive Reaktionen auf die Jessen-Muttergottes, die nicht als unschuldiges Mädchen dargestellt ist, sondern als erwachsene Frau, die ein Kind verloren hat. Diese emotionale Reaktion hängt für Thomas Jessen mit der Macht der Malerei zusammen. „In dem Moment, wo der Betrachter einem Bild von mir begegnet, begegnet er einem Menschen, und damit begegnet er sich selbst. Wenn man über ein Bild spricht, redet man über sich selbst. Und das ist das Tolle an der Kunst, dass sie die Tür zum Innersten öffnen kann. Das ist dieses zutiefst Christliche an der Kunst: Du, ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Dich meine ich.“

Kardinal Meisner hängt auch in der Mendener Ausstellung, und das kommt so. Thomas Jessen porträtiert seit Jahren die deutschen Bischöfe. Der Kölner Oberhirte Meisner mochte sein Jessen-Porträt nicht, er hat es heimlich abgehängt und bei einem anderen Maler ein Konterfei im Stile eines Heiligenbildchens bestellt. Inzwischen hängt das Jessen-Porträt wieder an seinem Platz. Doch der Esloher Künstler hat noch ein zweites Bildnis des Erzbischofs angefertigt, weil ihn dessen widersprüchliche Persönlichkeit faszinierte. Der Kardinal in seinem roten Ornat löst viele Reaktionen der Betrachter aus. Jessen: „Die Leute können nicht mehr trennen zwischen der Emotion und dem Bild, das sie auslöst. Ein Bild hat keine Emotion. Es ist nur ein Bild.“

Der Maler Thomas Jessen in seiner Ausstellung auf Gut Rödinghausen in Menden: Die Schützenkönigin ist mit einem Zitat aus Caravaggions „Begräbnis der Hl. Lucia“ dargestellt.
Der Maler Thomas Jessen in seiner Ausstellung auf Gut Rödinghausen in Menden: Die Schützenkönigin ist mit einem Zitat aus Caravaggions „Begräbnis der Hl. Lucia“ dargestellt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Rein technisch handelt es sich beim Porträt um die hohe Schule der Malerei. Jessen: „Der Arbeitsprozess baut sich über einen längeren Zeitraum auf, bis man sich für eine Geste oder einen Blick entschieden hat. Meistens fange ich mit dem Gesicht an. Weil aber jeder Strich falsch sein kann, habe ich parallel gerne ein Landschaftsbild in Arbeit. Das Porträt muss von Nahem stimmen und von Weitem. Es muss genau sein, es darf aber nicht zu genau sein, das geht über Schichten. Dadurch kriegt es eine andere Qualität als ein Foto.“ Und ein Porträt, so realistisch es auch sein mag, setzt viel Weglassen voraus. „Die Haare sind ein hochabstrakter Vorgang. Man kann ja nicht jedes einzelne Haar malen.“

Thomas Jessen hat sich für die Ausstellung intensiv mit Gut Rödinghausen beschäftigt, das heute als Industriemuseum genutzt wird: mit den herrschaftlichen Bewohnern, den Dienstboten, der Architektur und natürlich den historischen Porträtbildern der früheren Gutsherren. Diese Zeitschichten verarbeitet er in ergänzenden kleinen Bildformaten, den Rödinghauser Kommentaren, die jeweils unterschiedliche Elemente verblenden: Tapetenornamente oder sonstige Zeitspuren aus dem Haus, Farben und Farbtuben, dazu Fragmente der Porträts.

Nach der Zeit in Rödinghausen sollen die Porträts in den Pausenräumen von Industriebetrieben der Region gezeigt werden. Den Anfang macht Ketten Wulf in Jessens Heimatort Eslohe. Dieses Projekt ist dem Künstler wichtig. „Das sind die Menschen, mit denen ich in dieser Gleichzeitigkeit im Heute lebe. Die sind die Adressaten für meine Arbeit. Ich bin sehr sicher, dass diese Berührung in den Pausenräumen genauso stattfindet, und zwar ganz intensiv. Es gibt ja schon über das Handwerk einen gewissen Grundrespekt.“ Weitere Betriebe werden noch gesucht.

Ausstellung: Thomas Jessen: AnWesen. 17. März bis 9. Juni Gut Rödinghausen in Menden. Die Eröffnung beginnt um 11 Uhr. www.menden.de/museen. Vom 29. September bis 27. Oktober ist die Ausstellung im Kloster Bredelar in Marsberg zu sehen. www.kloster-bredelar.de