Essen. Der schwedische Bestseller-Autor lässt seine vierte Serie anlaufen. Eva Nymans erster Fall „Stummer Schrei“ führt in die Wälder ...

Vor zwölf Jahren haben wir an dieser Stelle berichtet, dass „Arne Dahl, ein Star der mittleren Generation im Schwedenkrimi“ seine Serie mit dem „A-Team“ der Stockholmer Kripo beendet hatte. In rasantem Tempo waren von ihm zuvor, von 1999 bis 2010, elf umfangreiche, spannende und erfolgreiche Thriller auf den Markt geworfen worden, die – mit durchsichtigem Kalkül – die Serie von Henning Mankells Wallander-Romanen aus den 90er-Jahren ablösen und sicher auch überbieten sollten. Was Umfang und Personal, Aktualität und Umsatz betrifft, ist dies wohl auch gelungen. Weitgehend geopfert hat Dahl (bürgerlich: Jan Lennart Arnald) jedoch den moralischen Grundzug, der den Wallander-Romanen ihren festen Platz auf unserem Klassikerregal gesichert hat.

Damit sollen Dahls Thriller – hier ist der Begriff wirklich angebracht – nicht pauschal abgewertet werden. Sie leben vor allem von ihrer enormen Spannung und einer forcierten Nähe zur Gegenwart: Im jetzt erschienenen Band „Stummer Schrei“ kommt ein gewisser Putin ebenso vor wie die neuesten Trends der digitalen Welt oder die Radikalität einer „letzten Generation“.

Das bewährte Erzählschema wie in „Kentuckymörder“ und Bombenterror auf dem Flughafen Arlanda

Aber nochmals zurück ins Jahr 2012. Auf jedes Serienende folgte sofort der Start einer neuen, die sich aber bald als Fortsetzung entpuppte. Dem Lauf der Zeit entsprechend, wird das Stockholmer Ermittlerteam durch internationale Fachkräfte verstärkt und auf passende Fälle angesetzt, etwa auf den notorischen „Kentuckymörder“, der sich bösartig ins gar nicht mehr friedliche Bullerbü-Land eingeschlichen hat. Nach fünf Bänden folgt 2015 ein weiterer Wechsel, und jetzt eben wieder einer. Wie im Fußballgeschäft werden neue Mitspieler eingewechselt oder eingekauft, die „Spielphilosophie“ hier: Das Erzählschema bleibt unverändert.

Arne Dahl bei einer Autorenlesung des Krimifestivals „Mord am Hellweg“ in Witten.
Arne Dahl bei einer Autorenlesung des Krimifestivals „Mord am Hellweg“ in Witten. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald (theo)

Jetzt geht es um „Eva Nymans ersten Fall“, das Team ist kleiner als üblich, „divers“, und durchweg dominieren die Frauen. Gegenspieler ist ihr früherer Chef Lukas Fridell, der nach tragischem Versagen den Dienst verlassen hat und jetzt als naturnaher „Survivalist“ im tiefsten Wald vegetieren soll. Eine Folge von Sprengstoff-Attentaten mit steigender Opferzahl, durch anonyme Briefe an Eva angekündigt, macht ihn zum Hauptverdächtigten, buchstäblich zum gejagten Wild im tiefen Wald. Und zwar so sehr, dass wir als erfahrene Krimifans bald von seiner Unschuld überzeugt sind…

Eva Nyman konferiert ständig mit Politikern

Aber erst als – nach dem Muster vieler Katastrophenfilme – Schwedens wichtigster Flughafen Arlanda (zwischen Stockholm und Uppsala) dem akuten Bombenterror ausgesetzt ist, wird sich alles aufklären.

Arne Dahls „Stummer Schrei“ führt in die Tiefen der schwedischen Wälder.
Arne Dahls „Stummer Schrei“ führt in die Tiefen der schwedischen Wälder. © Arterra/Universal Images Group via Getty Images | Arterra

So viel dürfen wir verraten, ohne die Spannung zu zerstören, die sich dem Erzähltempo, dem Szenenwechsel und dem Personal mit seinen privaten Freuden und Leiden verdankt. Chefin Eva, dies nur am Rande, gewinnt erstaunlich wenig Profil, weil sie ständig mit den Politikern konferieren muss, während sich die Kolleginnen Sonja oder Anka doch mal eine erotische Abschweifung erlauben. Aber das kann ja noch werden. Die allerletzten Seiten verweisen uns jedenfalls – marktgerecht – schon auf die Fortsetzung.

Alles in allem: Auf ihre Art sind Dahls eingängige Thriller auch in der vierten Serie ideales Lesefutter für anderthalb Tage außerhalb des Alltags, am besten auf der Couch bei Dauerregen oder einer leichten Erkältung.

Arne Dahl: Stummer Schrei. Eva Nymans erster Fall. Piper Verlag, 448 S., 17 €.