Düsseldorf. . Krimi-Autor Arne Dahl alias Jan Arnald im Gespräch: über Schwedens Bullerbü-Image, den Wandel des Wohlfahrtsstaates – und seinen festen Glauben an das Gute im Menschen.

In der Hotelbar erwacht fauchend die Kaffeemaschine, der Lärm verzögert die Begrüßung – zum Glück. Ob Jan Arnald, der schwedische Literaturkritiker und Romancier, vielleicht lieber mit seinem Pseudonym angesprochen werden möchte? Als Arne Dahl feierte er seit 1998 internationale Krimi-Erfolge – und sprach nun mit Britta Heidemann über den rasanten Wandel seines Heimatlandes, das der Welt eine eigene Krimi-Gattung geschenkt hat.

Warum haben Sie damals eigentlich ein Pseudonym gewählt?

Wenn man als Autor anfängt, schreibt man immer von sich selbst, irgendwie. Aber damals wollte ich nicht mehr über mich selbst schreiben, sondern eher über die Welt, die Gesellschaft. Ich hatte mich verändert und wollte eine Art Neugeburt.

Und hat das funktioniert?

Ziemlich gut, ja. Ich habe diese beiden Autoren in mir. Und sie lernen voneinander: Jan Arnald hat von Arne Dahl gelernt, effektiver zu schreiben – ich habe immer weniger Geduld mit langweiligen Passagen. Und Arne Dahl schreibt mit den Jahren immer literarischer und thematisch komplexer.

Sie konnten die Identität von Arne Dahl in der Öffentlichkeit erstaunlich lange geheim halten.

Fünf Jahre lang! Obwohl mit jedem Buch die Frage, wer Arne Dahl sei, in den Medien immer lauter gestellt wurde. Ganz zu Beginn hatte ich mich einmal auf der Buchmesse in Göteborg gezeigt. Mein Verlag hatte einen professionellen Maskenbildner angeheuert, vier Tage lang ging ich jeden Morgen dorthin und verwandelte mich. So maskiert hatte ich auch Interviews gegeben. Jahre später tauchte ein Bild von diesem Arne Dahl auf, obwohl es damals ein strenges Foto-Verbot gab – und eine Zeitung hat mich dann enttarnt.

Hätte man Sie nicht auch am Stil Ihrer Bücher erkennen können?

Das hätte ich eigentlich erwartet. Ich denke schon, dass der Stil doch ähnlich ist. Aber ich glaube, es gibt noch eine große Kluft zwischen der Hochkultur und der Populärkultur. Ich habe immer versucht, diese Kluft zu überbrücken, aber es ist doch schwieriger, als ich glaubte.

Sie haben sicher von dem schwedischen Schriftsteller Per Johansson gehört?

Der in Wahrheit Thomas Steinfeld heißt, ja – ich kenne ihn. Ich habe mich gewundert, denn er hat mir immer gesagt, dass er eigentlich kein Krimi-Liebhaber ist. Diese Geschichte war für mich auch ein Zeichen, dass der Schwedenkrimi inzwischen zu einem ganz eigenen Genre geworden ist.

Als Sie vor 15 Jahren den ersten Krimi schrieben, war das Genre Schwedenkrimi da noch ein anderes als heute?

Es gibt zwei wesentliche Veränderungen. In den 60er Jahren kam der sozialkritische Krimi auf, Maj Sjöwall und Per Walhöö sind die bekanntesten Vertreter – und ich vielleicht einer der letzten… (lacht). Heute gibt es viele verschiedene Ansätze. Die zweite Veränderung betrifft den Stil: Ich glaube, die schwedischen Krimis sind mit den Jahren immer besser geworden. Es gibt mehr gute Romane in diesem Genre als früher, mehr Autoren, die mit literarischen Mitteln experimentieren.

Warum wurden gerade die Schweden so fleißige Krimi-Schreiber? Ihre Heimat galt in Deutschland lange als Bullerbü-Idylle, bis vor kurzem jedenfalls . . .

Kein anderes Land wird so idealisiert wie Schweden. Vielleicht liegt darin die Faszination begründet: weil man das Land im Krimi aus einer ganz anderen Perspektive erlebt. Und wir selbst hatten vielleicht auch dieses idealisierte Bild von uns selbst. Bis wir erleben mussten, dass wir nicht besser sind – und es bei uns nicht weniger Kriminalität gibt als in anderen Ländern. Die Veränderung begann in den 80er Jahren, als die lange sozialdemokratische Hegemonie endete. Wir hatten diesen Wohlfahrtsstaat aufgebaut und gedacht, er würde ewig währen.

Und dann wurde diese Illusion zerstört?

Der Mord an Olof Palme 1986 hat uns unsere Unschuld gekostet. Es gab über Jahre Ermittlungen, die alle Schweden zum Detektiv machten. Und fünf Jahre nach Palmes Tod erschien Henning Mankells erster Krimi. Wir haben einen Schock erlebt, den wir nun vielleicht mit Kriminalliteratur therapieren.

Müssen wir das Bild, das wir von Schweden hatten, angesichts der Ausschreitungen revidieren?

Eigentlich nicht, glaube ich. Schweden und Stockholm sind nicht plötzlich gefährlich geworden. Aber wir wohnen nicht in einem Idealstaat. Die Ungleichheit der Gesellschaft wird immer größer - mehr als in allen anderen OECD-Mitgliedsländern. Der Wohlfahrtsstaat verschwindet schnell, und überall wo die Ungleichheit größer wird, gibt es auch Proteste. Und diese Entwicklung geht gerade sehr schnell in Schweden. Der Aufstand ist nicht besonders überraschend.

Was für eine Stimmung bricht sich da in den Ausschreitungen Bahn?

Es ist eine Stimmung von Hoffnungslosigkeit, von Ohnmacht - es gibt zu viele Menschen die fühlen dass sie überhaupt keine Chance haben, in die Gesellschaft zu kommen. Wir haben zu große „Ghettos“ gebaut und diese immer schlechter gemacht. Wir müssen die Möglichkeiten zur Integration vergrößern.

Sie schauen mit Ihrer zweiten Krimi-Reihe, deren aktueller Titel schlicht „Zorn“ heißt, aber über Schweden hinaus.

Ich war vielleicht ein bisschen müde, immer nur über den Schauplatz Schweden zu schreiben. Und ich war neugierig, ob es möglich ist, Euro-Krimis zu schreiben. Ich habe mir eine operative Einsatzgruppe für Europol in Den Haag ausgedacht: Opcop ist so eine Art europäisches FBI, natürlich streng geheim. Das eigentlich gar nicht so unrealistisch, wenn man darüber nachdenkt…

Aber es hat sich noch niemand beschwert, weil Sie Polizeigeheimnisse ausgeplaudert haben?

Sie meinen, ich verschwinde plötzlich eines Nachts, werde ausgeschaltet? (lacht). Nein. Aber eigentlich würden wir doch so eine Einheit brauchen. Vielleicht ist das, was ich beschreibe, eine Zukunftsvision.

Hat sich durch Ihre Arbeit Ihr Blick auf das Böse im Menschen verändert? Wenn Sie die etwa die Bilder vom Anschlag in Boston sehen – können Sie verstehen, was in den Tätern vorgegangen sein muss?

In den vergangenen 15 Jahren gab es viele Ereignisse, die sich kein Autor so hätte ausdenken können. Die Realität ist in gewissem Sinne schlimmer als es jede Fiktion sein könnte – der elfte September, das Massaker von Utoya oder eben auch Boston. Aber meine Arbeit hat mir deutlich gemacht, dass das Böse keine Naturkraft ist, nichts Metaphysisches, es hat immer einen Grund. Wobei es, leider, im Innern der Menschen viel Raum für das Böse gibt.

Ist es nicht hart, sich so ständig mit diesen dunklen Seiten des Menschseins zu befassen?

Meine Romane handeln ebenso vom Guten wie vom Bösen. Es gibt immer eine Möglichkeit, die Dinge auch anders zu sehen. Die Welt ist nicht dunkel, es gibt in meinen Büchern viele kleine Lichtstrahlen, als Gegenkraft. So hoffe ich jedenfalls!