Essen. Mit Kleinkindern ins Lokal? Für Eltern ist das oft Stress. Warum es im Familiencafé entspannt bleibt. Eine Mutter aus Essen erzählt.

Es soll ja diese kleinen Kinder geben, die man in ein Hochstühlchen setzt, mit einem Stückchen Brot und vielleicht noch ein Büchlein – und schon lässt sich entspannt ein Cappuccino im Lieblingscafé trinken. Ich kenne das so: Man setzt das Kind in den Hochstuhl, Brot und Buch sind nach Sekunden vergessen, und die Hand schnappt nach dem Salzstreuer – die Mamahand war schneller. „Nein, mein Schatz, der Salzstreuer bleibt auf dem Tisch.“ Schon ist der Protest groß: „HABEN!“ Und die ersten Gäste schauen sich genervt um, bevor man den Kaffee überhaupt bestellt hat.

Wie anders war dagegen mein erster Besuch eines Familiencafés: im Bürgerzentrum der Villa Rü in Rüttenscheid. Das Viertel mit den vielen Ausgehadressen zählt ja zu den schickeren der Stadt Essen. Aber mein Junge und ich brauchten kein Schick. Oder wie er sagt: „SICK!“ Wir wollten einfach raus, andere Menschen sehen, große und kleine – und das bei Regen und Kälte. Also gingen wir in die Villa Rü, deren Name zwar schick klingt, die aber samt Familiencafé den Charme eines kirchlichen Jugendtreffs hat mit schlichten Tischen ohne Salzstreuer. Mehr braucht es nicht.

Weltendecker dürfen im Familiencafé toben

Was ist dort anders? Wir dürfen so sein, wie wir sind: ein kleiner tobender Weltentdecker mit seiner Mama, die sich mal mit anderen Erwachsenen unterhalten möchte. Und schon kommt uns ein Mädchen auf einem Rutschauto entgegen. Denn in dem Café werden nicht nur Kaffee und Schorlen getrunken und die Herzen der Waffeln geteilt. Dort dürfen die Kleinen auch rennen, fahren, hüpfen.

Spielgeräte für die Kleinen: Das Familiencafé Löffelöhrchen in Essen-Werden.
Spielgeräte für die Kleinen: Das Familiencafé Löffelöhrchen in Essen-Werden. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

In einem Raum liegen Bauklötze, die nicht nur weich, sondern auch groß sind. Sehr groß. Wir bauen daraus ein Tor, durch das mein Kleinkind aufrecht gehen kann. Es gibt eine Kinderküche, einen Puppenwagen und eine Motorikschleife, bei der selbst die Kinder, die noch nicht mal krabbeln können, bunte Kugeln über verschlungene Stangen schieben. Noch etwas Besonderes in Familiencafés: Da sitzen auch die Großen schon mal auf dem Boden, um das Baby zu kitzeln oder wie die Kinder zu krabbeln.

Von wegen „Latte-Macchiato-Mütter“. Wer hat eigentlich diesen bösen Begriff erfunden, der die Mamas in die gedankliche Schublade sperrt, sie würden mit ihren Kleinen in hippen Cafés sitzen und dem Müßiggang frönen? Erst seit ich wieder arbeite, kann ich meinen Kaffee trinken, ohne dabei Kniebeugen zu machen oder einen Spurt einzulegen. Schließlich kippt im Büro nicht ständig ein Glas um. Und neben meinem Schreibtisch sitzt auch kein Kind, das seinen Finger in die nächste Steckdose schiebt.

Im Familiencafé heißt es: Bitte aufräumen. Und Schuhe aus!

Natürlich ist ein Familiencafé keine regellose Zone. Auch hier darf man Spielzeug nicht wie einen Ball gegen die Wand werfen. In der Villa Rü heißt es am Ende immer: Bitte aufräumen. Zudem gilt überall: Schuhe aus! Wenn ein Papa seine Stoppersocken vergessen hat, kann er zum Beispiel im Café Löffelöhrchen in Filzpantoffeln schlüpfen. Das tut ganz gut nach einem Spaziergang an der Ruhr oder am Baldeneysee in Essen-Werden.

Hier darf ein Baby auch mal schreien. Und gestillt wird auch ganz selbstverständlich.  Fabia Zaika mit Tochter Lilly und Sabine Paß mit Sohn Moritz im Familiencafé Anna in Essen.
Hier darf ein Baby auch mal schreien. Und gestillt wird auch ganz selbstverständlich. Fabia Zaika mit Tochter Lilly und Sabine Paß mit Sohn Moritz im Familiencafé Anna in Essen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Eltern gehen aber nicht nur in diese Cafés, um sich eine kleine Auszeit zu gönnen. Ich treffe mich mit zwei Müttern, die sich freuen, dass ihre Kinder auch mal mit anderen spielen können. Denn sie haben wie so viele Eltern in Essen – und auch in anderen Städten in der Region – keinen Kita-Platz bekommen.

Während das Mädchen in unserer Runde gestillt wird, zerren die beiden Jungs im Löffelöhrchen an einem Müllwagen, der fast so groß wie ein Bobbycar ist. Doch das Teilen lernt man hier auch. Schließlich haben sie den Wagen gemeinsam geschoben. Und das mit solch einer Hingabe, dass sie nur ab und an zum Tisch rannten, um sich eine Blaubeere vom Obstteller zu mopsen.

Im Elterncafé gibt‘s Weintrauben statt Pommes

Ebenfalls schön: In den Cafés gibt’s keine Pommes, kein Putenformfleisch, das harmlos als „Asterix“ oder „Schneewittchen“ getarnt auf Speisekarten von Restaurants zu finden ist. Es gibt Snacks, bei denen man kein schlechtes Gewissen haben muss. Auf dem Kinderteller mit Obst und Gemüse im „Anna“ in Essen-Rüttenscheid sind sogar die Weintrauben durchgeschnitten, damit sich kein Kleinkind verschluckt.

Rutschen, klettern, schaukeln: Im Familiencafé Anna in Essen-Rüttenscheid gibt es viel Platz zum Toben.
Rutschen, klettern, schaukeln: Im Familiencafé Anna in Essen-Rüttenscheid gibt es viel Platz zum Toben. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Im Café Anna gibt es zudem einen Raum speziell für Eltern mit Babys – mit Sitzkissen, damit Familien auf Augenhöhe bleiben. Ansonsten geht es turbulenter zu als in anderen Familiencafés. Dort können Kinder klettern, rutschen, schaukeln. Mein Kleiner tobt sich dort aus wie auf einem Indoorspielplatz. Pro Kind zahlt man einen Spielbeitrag von 2,50 Euro. Im Löffelöhrchen gilt das auch für alle Kinder ab einem Jahr.

Die großen Kinder spielen „Schiffe versenken“ am Tisch

Im Café Anna ist allerdings auch eine Boutique integriert mit Pullis, Brotboxen, Spielzeug. Das ist unglücklich, da die Kleinen auch mit den Rutschautos dort durchfahren – und zack hat ein Händchen nach einem Beutel mit Kordel gegriffen. Da muss man noch mehr ein Auge auf die Kinder haben. Schade, sie hören ja schon so oft: „Gucken, nicht anfassen!“

Kürzlich waren wir mit meinem zwölfjährigen Patensohn und seiner 15-jährigen Schwester im „Anna“. Die Rutsche ist für die beiden nicht mehr geeignet, erklärte eine freundliche Kellnerin und brachte ersatzweise ein Gesellschaftsspiel. So versenkten die Teenies am Tisch Schiffe, während der Kleine auf den Turnmatten hopste. Laut ist es im Familiencafé. Aber in so manchem Szenetreff geht es ja auch nicht gerade leise zu. Und kein Gast dreht sich im Familiencafé genervt um, wenn mein Sohn fröhlich ruft: „MAMA! GUCKEN!“

Das sind die drei Familiencafés in Essen

Villa Rü: Cappuccino: 2,50 €. Waffel: 1,50 €. Girardetstr. 21. Barrierefreier Nebeneingang. In der Regel Mo. bis Fr. 10 bis 18 Uhr. Trinkflasche und Snacks für die Kleinen darf man mitbringen. Kein Spielbeitrag. villarue.blogspot.com

Löffelöhrchen: Cappuccino: 3,90 €, Belgische Waffel: 4,50 €. Brückstr 1. Das Familiencafé organisiert auch Kindergeburtstage. Auf der Homepage können Gäste reservieren. Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr. Spielbeitrag für Kinder ab einem Jahr: 2,50 €. loeffeloehrchen.com

Das Anna: Cappuccino: 3,30 €. Belgische Waffel, einfach: 2,90 €. Annastr. 35. Mi bis Mo. 9.30 Uhr bis 17.30 Uhr, Spielbeitrag: 2,50 €. Um Reservierung wird gebeten: 0201/20602029, DasAnna.de

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