Essen. „Monster im Kopf“, „Fremont“ und „Vermeer: Reise ins Licht“ – unser Kritiker stellt neue Filme vor und verrät, ob sich der Gang ins Kino lohnt.

Ab ins Kino: „Monster im Kopf“ erzählt von der Drucksituation einer jungen Mutter, die Indie-Perle „Fremont“ präsentiert sich als positive Einwanderergeschichte und die Doku „Vermeer – Reise ins Licht“ eröffnet frische Blicke auf einen großen Künstler.

Monster im Kopf

Sandra sitzt mit Mitte 30 hochschwanger im Knast. In der Küche, in der Zelle, auf dem Hof, selbst nach der Niederkunft vermittelt sie eine Anspannung, als ob sie gleich explodieren müsste. Mit gutem Grund, denn Sandra lebt in der Ungewissheit, dass das Jugendamt ihr den offenen Vollzug verwehrt und das Kind dem Vater überantwortet wird. Es ist eine knallharte Drucksituation, mit der Christina Ebelt ihre zweite Regiearbeit leitmotivisch durchzieht.

„Monster im Kopf“: Sandra ist impulsiv, Sandra sitzt im Knast, Sandra ist außerdem schwanger – ein filmischer Kraftakt mit einer fantastisch-wütenden Hauptfigur. FRANZISKA HARTMANN
„Monster im Kopf“: Sandra ist impulsiv, Sandra sitzt im Knast, Sandra ist außerdem schwanger – ein filmischer Kraftakt mit einer fantastisch-wütenden Hauptfigur. FRANZISKA HARTMANN © REAL FICTION FILMVERLEIH | Bernhard Keller

Knallharter Realismus prägt alle Szenen. In der Hauptrolle agiert Franziska Hartmann als eine Frau, deren Charakterbild zur Gewalttätigkeit neigt, und sie spielt sich den Teufel aus dem Leib. Ihre Vorgeschichte eröffnet die Regie häppchenweise in Rückblenden. Da gibt es den abnutzenden Job im Schlachthof, einen Mechanikerfreund mit mageren Erfolgsaussichten, eine Fehlgeburt und eine kränkelnde Mutter, die Sandra mit ihren quengelnden Bemerkungen auf die Nerven geht. Immer schneller strudelt die Handlung einer schockierenden Affekt-Tat entgegen, und doch stellt sich stets die Frage, wen das erreichen soll, wenn Thema und Umsetzung gleichermaßen sperrig angelegt sind?

Fremont

Dies ist eine amerikanisch produzierte Independent-Perle, inszeniert vom Iraner Babak Jalali, der in London lebt. Sein Blick auf Amerika ist komödiantisch gefiltert mit einem schrulligen Humor, der geradewegs zurückführt zum Frühwerk von Jim Jarmusch. Schauplatz ist die Stadt Fremont südlich von San Francisco, wo die größte Zahl afghanischer Migranten in den USA angesiedelt ist. Damit kommt Donya ins Spiel. Die ist Ende 20 und gehörte als einzige Frau zum afghanischen Übersetzerteam der US-Streitkräfte. Als sich die Chance auf ein Visum bot, nutzte sie die Chance zur Ausreise und ließ alles hinter sich zurück.

Jetzt lebt sie allein in Fremont und arbeitet in einer Fabrik, wo Glückskekse hergestellt werden. Sie ergattert eine kostenfreie Behandlung beim Psychiater und schmuggelt eines Tages Zettel mit ihrem Namen und der Telefonnummer in die Kekse. Ja, dies ist eine positive Einwanderergeschichte, in der sich drollige Charakterskizzen und lakonischer Wortwitz (hier: die Kunst der verzögerten Reaktion) mit sanft milchiger Schwarzweiß-Ästhetik vereinen. Das Mädchen mit den Kekstexten, der Psychiater, der Jack Londons „Wolfsblut“ liest, der Automechaniker mit den unfassbar treuen, traurigen Augen – das sind Figuren, die man sofort lieb gewinnt und dann nicht mehr loslassen mag.

Vermeer – Reise ins Licht

So haben vermutlich auch Vermeer-Fans den Künstler und seine Bilder noch nie gesehen: die knapp 80-minütige Dokumentation „Vermeer – Reise ins Licht“ der niederländischen Dokumentarfilmerin Suzanne Raes zeigt die Vorgeschichte der großen Vermeer-Ausstellung im Frühjahr im Rijksmuseum in Amsterdam, wo es die wohl größte Vermeer-Konzentration aller Zeiten gab: Je nach Zählung waren rund 27 der 37 bekannten Gemälde des weitgehend unbekannten Genies aus Delft vor Ort.

Wie der deutsche Ausstellungsmacher Gregor Weber und sein Team um jedes Bild kämpfen und nicht nur möglichst viele Bilder versammeln wollen, sondern auch ein wenig mehr Licht in die vielen wunderbaren Schatten des Malers bringen wollen, erzählt der Film, von reichlich Streichern unterlegt, vor allem in Interviews, die auch immer wieder zeigen, wie sehr die Bilder offenbar auch nach Jahrhunderten immer noch berühren. Mehr als einmal fehlen Weber die Worte – und das vermutlich nicht nur, weil Niederländisch nicht seine Muttersprache ist und Maler Jonathan Janson erzählt unter Tränen, wie er als 71-jähriger auch das letzte, noch fehlende Vermeer-Gemälde besichtigte.

Was der Film ausspart, leider, ist die rechtliche Kontroverse um das Bild „Die Malkunst“ – obwohl es eingangs mehrfach gezeigt und intensiv besprochen wird, weil es womöglich Vermeer in einer Rückansicht zeigt. Weil die österreichischen Leihgeber befürchteten, das Bild könnte wegen Restitutionsansprüchen in Amsterdam beschlagnahmt werden, rückten sie es nicht heraus. Ebenfalls zuhause blieb das „Mädchen mit dem Weinglas“ aus dem Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig: der Vermeer sei Abiturthema in Niedersachsen, also unabkömmlich. Gegen so viel Kleingeistigkeit in der deutschen Provinz hilft nicht einmal das großzügige Angebot, die paar Abiturienten, die den Leistungskurs Kunst gewählt haben, im Bus nach Amsterdam zu bringen. Ernster zu nehmen sind da schon die Aspekte der New Yorker, die ihre Vermeers wegen der Verfügungen der Spender oder schlicht der Fragilität nicht rausrücken.

Spannend ist der Film vor allem immer da, wo Weber und Jansen die Maltechniken und optischen Tricks Vermeers im 17. Jahrhundert ermitteln oder das Team des Rijksmuseums die Kunstwerke begutachtet, auspackt, röntgt, analysiert und am Ende beschließt – gegen die Auffassung der Washingtoner Leihgeber – auch die Flötenspielerin trotz aller Bedenken als echten Vermeer zu werten. So bietet dieser Film in mancherlei Hinsicht mehr Vermeer als es die Ausstellung vermocht hätte.