Amsterdam. Vermeer im Rijksmuseum Amsterdam: 28 von 37 bekannten Gemälden des Meistermalers sind da. Eintrittskarten gibt es aber erst für April wieder.

Wenn man ganz nah rangeht an die „Spitzenklöpplerin“ aus dem Louvre, dann sieht man die beiden Fäden in ihren Händen völlig scharf. Alles aber, was sich davor und dahinter im Raum befindet, also

„Die Spitzenklöpplerin“ reiste aus dem Musée du Louvre in Paris an.
„Die Spitzenklöpplerin“ reiste aus dem Musée du Louvre in Paris an. © Musée du Louvre

etwa ihr hochgeschlossener Spitzenkragen überm gelben Kleid oder das tiefblaue Nähkissen, hat unscharfe Konturen, wie mit einem Weichzeichner. Und wenn man ganz nah rangeht an das „Milchmädchen“, dann sieht man am Rand ihrer Schulter noch Spuren eines Lochs – hier steckte der Nagel, von dem aus Johannes Vermeer auf der grundierten, noch weißen Leinwand mit einem gefärbten Faden Perspektivlinien zog.

Näher als derzeit im Amsterdamer Rijksmuseum wird man Vermeer jedenfalls eine ganze Weile nicht mehr kommen können – von den 37 bekannten Werken des Maler-Stars aus Delft sind dort jetzt 28 versammelt, aus Dublin und Washington, aus Tokyo, Paris und Edinburgh, aus New York, Frankfurt, Berlin und Dresden. So viele standen nicht einmal zur selben Zeit in Vermeers Atelier.

Bis zum 1. April jedenfalls sind es 28, denn dann wird „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ wieder umziehen ins heimische Mauritshuis in Den Haag. Schon vor Ausstellungsbeginn gab es 200.000 Reservierungen für den zeitlich begrenzten Eintritt; in den ersten Tagen der Schau brach die Reservierungsseite sogar zusammen und bat um Geduld, es seien noch genügend Karten zu vergeben; zudem sollen die bereits verlängerten Öffnungszeiten (siehe unten) vielleicht noch weiter ausgedehnt werden, wie Museums-Chef Taco Dibbits in Aussicht stellte.

Auch Vermeers Anfänge waren nicht fehlerfrei: verdrehte Hände und Füße

„Das Milchmädchen“ (1658/59).
„Das Milchmädchen“ (1658/59). © Rijksmuseum

28 Gemälde, mal drei, mal sechs, mal eins in einem der dunkel, fast schwarz ausgekleideten Räume. Und wir sehen so viel. Dass auch ein Vermeer (1632-1675) nicht mit jener Perfektion begann, die er in seinen gerade mal 20 Maler-Jahren entwickeln sollte: Der Jesus mit Maria und Martha etwa hat einen völlig unrealistisch verdrehten Arm, der ins Zentrum des Bildes gerückt ist; und die Fußstellung der Diana, die er mit ihren Nymphen malte, widerspricht jeder Anatomie.

Vermeer wandte sich zum Glück schnell von biblischen und mythologischen Szenen ab. Warum, das weiß man wie so vieles andere über das „Rätsel von Delft“ nicht, von dem kein Brief, keine Skizze, kein Tagebuch, kein Porträt überliefert ist (vielleicht lacht er uns von eigener Hand aus dem derb-erotischen Bordell-Bild von oben links ins Gesicht, aber das weiß man auch nicht sicher, wie das Meiste). Wahrscheinlich verkauften sich die intimen, stillen, häuslichen Innenansichten mit Frauen in alltäglichen Situationen besser bei der Kundschaft – die Niederlande blühten seit dem Ende des 30-jährigen Krieges 1648 auf, nirgends in Europa gab es so viele Städte, in denen so vielen wohlhabende Bürger lebten. Der Reichtum kam aus der Ausplünderung der ostindischen Kolonien, und in Delft landete viel von der Übersee-Fracht an.

Vermeers Kunst-Perfektion könnte auch durch Technik entstanden sein – von Jesuiten

Das Rijksmuseum im Vermeer-Fieber.
Das Rijksmuseum im Vermeer-Fieber. © dpa | Peter Dejong

Vermeer musste nicht mehr als zwei Bilder pro Jahr malen, er hatte die Tochter einer reichen Frau geheiratet; vielleicht, aber sicher ist auch das nicht, trat er ihr zuliebe sogar zum katholischen Glauben über, der in den Niederlanden verboten war, aber geduldet wurde, solange er in Privaträumen stattfand. Vermeer wohnte im „Papenhoek“, im „Papistenwinkel“ von Delft. Aber vielleicht hielten ihn auch seine 15 Kinder vom Malen ab (von denen elf das Erwachsenenalter erreichten) oder der Handel mit Gemälden, den er wie sein Vater betrieb.

Nicht einmal, bei wem er gelernt hat, ist überliefert. Gregor J.M. Weber, deutscher Kurator am Rijksmuseum, vermutet allerdings, dass Vermeer die Perfektion seiner Bilder auch den Jesuiten im Nachbarhaus verdankt, sie kannten die „Camera Obscura“, die Projektionen nach dem Prinzip eines Fotoapparats erlaubte – und Vermeer die Suggestion von Raum und Tiefe durch Schärfen und Unschärfen gezeigt haben könnte. Er arbeitete zudem mit mehr als einem Perspektiv-Fluchtpunkt, und manchmal lagen raffinierter Weise zwei von ihnen sogar jenseits des Bildes, auch das zeigt die Ausstellung.

„Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ ist nur bis zum 31. März in Amsterdam

„Das Mädchen mit dem Perlenohrring“.
„Das Mädchen mit dem Perlenohrring“. © Mauritshuis, The Hague | Margareta Svensson

Doch wie immer die Bilder auch entstanden sein mögen, sie sind ein einzigartiger Genuss. Man sieht, wie Vermeer Schatten auf dem Gesicht mit dem Pigment „Grüne Erde“ authentischer wirken ließ als seine Zeitgenossen. Und man wird nicht müde, die vielen Variationen des perfekten Lichteinfalls durchs Fenster zu studieren. Überhaupt: die Fenster – filtern, was von draußen hineinkommt. Die dortige Welt, etwa Ostindien und die Politik, spiegelt sich in Landkarten, in exotischen Mustern, in Briefen. Aber sie bleibt fern, sie erlaubt den Frauen und wenigen Männern, ganz bei sich und selbst zu sein. Um das noch deutlicher zu machen, übermalte Vermeer viele Details, obwohl er gerade die so präzise nicht in ihrem Wesen, sondern in ihrer optischen Erscheinung traf.

Man mag bedauern, dass Vermeers bestes Bild, „Die Malkunst“ aus dem Kunstmuseum in Wien nicht anreisen durfte; aber das ist nicht mal ein Wermutstropfen, wenn man spürt, welch ungemein lebendige Wirkung „Die Dame mit der Dienstmagd“ aus New York oder selbst das vielgesehene „Mädchen mit dem Perlenohrring“ im Original immer noch hat.