Essen. Die Regisseurin Carolina Hellsgård hat sich Erich Kästners Klassiker vorgenommen. Aus Martin Thaler wird Martina – und das ist noch nicht alles.
Martina ist 13 und hat es nicht leicht. Sie wohnt mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in einer Hochhaussiedlung in Berlin – das Geld ist knapp, Markenklamotten und Handy sind einfach nicht drin. Nach der Schule muss sie kochen und sich um den kleinen Oliver kümmern. Als sie die Chance auf ein Stipendium für das begehrte Südtiroler Johann-Sigismund-Gymnasium erhält, freut sie sich riesig. Dort jedoch warten neue Probleme.
Erich Kästners Roman „Das fliegende Klassenzimmer“ war für viele heiß geliebte Kindheitslektüre, jetzt kommt die vierte Verfilmung der Geschichte in die Kinos. Ein famoser Jugendfilm, spannend, heutig, wild und bunt.
Nichts für Traditionalisten
Und damit – Achtung! – nicht unbedingt etwas für Traditionalisten. Der grobe Rahmen blieb erhalten (Internatsklasse führt unter widrigen Bedingungen das Theaterstück „Das fliegende Klassenzimmer“ auf), aber die Hauptfiguren aus dem Jugendbuch, die haben sich gründlich verändert.
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So ist aus dem gerechtigkeitsliebenden Klassenprimus Martin Thaler die nicht minder schlaue Martina Thaler (Leni Deschner) geworden, ihre beste Freundin Jo (Lovena Börschmann Ziegler), ein Adoptivkind mit brasilianischen Wurzeln, ersetzt Johnny Trotz, der Weihnachten ständig allein ist. Mit dem schmächtigen Uli von Simmern (Wanja Valentin Kube) und seinem starken besten Freund Matz (Morten Völlger), immer hungrig, bilden sie ein unwiderstehliches Film-Quartett. Wobei die Mädchen den Kästner-Helden in nichts nachstehen: Wenn’s drauf ankommt, können sie sich prügeln wie die Jungs.
Denn im idyllischen Südtirol gelten eigene Regeln. Das erfährt Martina nach ihrer Ankunft im Alpenstädtchen Kirchberg. Die Internatsschüler liegen traditionell im Clinch mit den „Externen“, Schülerinnen und Schülern, die die örtliche Realschule besuchen – allen voran Ruda (wunderbar rotzig: Franka Roche), die Tochter der Direktorin Kreuzkamm (Hannah Herzsprung).
Es geht um Freundschaft und Respekt, aber auch um Mobbing
Als die „Internen“ ihre Skaterbahn benutzen, ist Ärger vorprogrammiert. Doch Internatsdirektor „Justus“ Bökh (Tom Schilling) weiß eine Lösung. Ein gemeinsam aufgeführtes Schülertheaterstück soll helfen, die Wogen zu glätten. Aber dadurch wird alles nur noch schlimmer.
Es geht turbulent zur Sache in diesem Film, der alles hat, was an Kästner so großartig ist. Mutige Kinder, die Probleme regeln. Nette Erwachsene, die oft etwas seltsam daherkommen, sie aber nach bestem Kräften unterstützen. Hier ist das nicht nur Direktor Bökh, sondern auch der Gelegenheitspianist Robert Uthofft, den alle nur den Nichtraucher nennen, obwohl er eigentlich raucht (mit Kajalstift und Kimono: Trystan Pütter).
Die schwedische Regisseurin Carolina Hellsgård („Sunburned“) hat den Stoff von 1933 verschlankt, in den Sommer verlegt und ganz aufs Hier und Jetzt getrimmt, ist dabei aber behutsam vorgegangen. Und so dreht sich ihr Film vor allem um Freundschaft und Respekt – aber auch um Mobbing, Probleme mit den Eltern, das Allein- und Anderssein. Kompliment an die jungen Schauspieler und Schauspielerinnen, die es mit ihrem Spiel schaffen, dass sich auch ältere Semester plötzlich wieder gut an die Kämpfe ihrer Jugendzeit erinnern können.
Erich Kästner, die Klugen und die Mutigen
Und so menschelt es enorm, dauert es nicht lange, bis sich das gute alte wohlige Kästner-Gefühl wieder einstellt, dass Recht und Gerechtigkeit am Ende siegen, wenn nur alle daran glauben und einander helfen. Und überhaupt: „Erst wenn die Mutigen klug und die Klugen mutig geworden sind, wird das zu spüren sein, was irrtümlicherweise schon oft festgestellt wurde: ein Fortschritt der Menschheit“, zitiert Robert, der die Geschichte erzählt, den großen Humanisten. Und da ist nichts Altmodisches dran.