Tom Schilling wollte immer mal einen großen Film im Berlinale-Wettbewerb haben. Nun ist es endlich gelungen – aber keiner kann gucken.
Eigentlich hat Tom Schilling sich das immer gewünscht: einmal im Wettbewerb der Berlinale vertreten zu sein mit einem Film, in dem er die Hauptrolle spielt. Jetzt ist ihm das endlich gelungen. In Dominik Grafs Verfilmung von Erich Kästners Roman „Fabian – Der Gang vor die Hunde“, die am 10. Juni auf der Museumsinsel Premiere hat, spielt er die Titelfigur. Und dann ist er auch noch in der Sektion Berlinale Series mit „Ich und die anderen“ vertreten, in dem sich sechs Folgen lang alles um ihn dreht. So viel Tom Schilling war noch nie auf einer Berlinale. Aber dann findet das Festival diesmal nur unter Corona-Restriktionen statt.
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Das ist „schon sehr schade“, findet der 39-Jährige: „Ich gehe seit 20 Jahren auf die Berlinale. Jetzt hat das endlich mal geklappt – und dann kriegt es keiner mit.“ Er war schon mal im Wettbewerb, mit „Elementarteilchen“: „Aber da hatte ich wirklich nur eine ganz kleine Rolle“. Er war auch schon im Berlinale-Special und gleich mehrfach in der Sektion Berlinale Series vertreten, was ironisch ist, weil er ja vor allem Kino macht.
„Ich habe mir auch immer gewünscht, einmal auf einem dieser tollen Fotos im Berlinalepalast zu hängen“, gibt Schilling zu. Aber dann tröstet er sich: „Das geht ja nicht nur mir so.“ Und: „Es könnte auch noch schlimmer sein.“ Oskar Roehler etwa wurde im vergangenen Jahr mit seinem Fassbinder-Biopic „Enfant terrible“ in den Wettbewerb von Cannes eingeladen. Das Festival fiel aber komplett aus.
Es bleibt noch Zeit zum Tennisspielen
Und es gibt sogar eine angenehme Nebenwirkung: Ist man sonst im Wettbewerb vertreten, muss man durch einen PR-Rummel mit rotem Teppich, Pressekonferenz, Interviewmarathon. All das entfällt jetzt. So hat Schilling sogar Zeit, in aller Ruhe Tennis zu spielen. Und lädt auch zum Interview zu seinem Tennisverein in Prenzlauer Berg ein. Dort kann der überpünktliche Journalist den Star noch in Aktion auf dem Platz erleben, bevor der sich, noch leicht verschwitzt im Tennisdress, neben ihn setzt.
Hier saßen wir schon mal, vor neun Jahren, um über seinen Film „Oh Boy“ zu sprechen. Ein ruppiges und zugleich feines Generationenporträt, ein schöner Berlin-Film obendrein. Ist „Fabian“ eine Art historischer „Oh Boy“? Ja, die Filme hätten schon eine gewisse Verbindung, findet der Schauspieler.
„Beide sind Gesellschaftsporträts, gesehen durch die Augen einer Hauptfigur, die einen eher beobachtenden Charakter hat. Und beide reißen ganz unterschiedliche Themen an. Die Welt in einer Nussschale.“
Kästners Roman wurde von den Nazis verboten, weil es deren Vormarsch ahnungsvoll voraussah. Jetzt scheint der Stoff wieder sehr aktuell beim derzeitigen Erstarken der Rechten. Ist der Film auch ein Kommentar aufs Superwahljahr 2021? „Nach Parallelen muss man zumindest nicht lange suchen, die drängen sich förmlich auf“, sagt Schilling.
Spannend an „Fabian“ war für ihn, „dass meine Figur sich aus dem ganzen Diskurs mit einem gewissen Ekel heraushält, weil er das Gefühl hat, dass alles wahnsinnig überhitzt ist, dass alle anderen durchdrehen.“ Diese völlig aus den Fugen geratene Welt, das mache den Film sehr heutig.
Ganz anders dagegen die Serie „Ich und die anderen“, die am 9. Juni die Series-Sektion im Sommerkino Schloss Charlottenburg eröffnet hat: Die lebt davon, dass seine Hauptfigur Tristan jeden Tag einen anderen Wunsch erfüllt bekommt – und der sich stets als Alptraum erweist. Gleich in der ersten Folge will Tristan, dass sich alles um ihn dreht, dass alle alles von ihm wissen sollen.
Für Schilling, der sein Privatleben stets unter Verschluss hält, wäre das vermutlich das Schlimmste? „Ja“, antwortet er darauf auch nur knapp. Auf die Frage, ob das alles sei, was er dazu sagen mag, kommt ebenfalls nur ein knappes Ja.
Ein Kindheitstrauma, das er mal ablegen muss
Auskunftsfreudiger wird er wieder, als es um seine Regisseure geht. Was ihn so freute bei beiden Berlinale-Produktionen, war, dass sowohl Dominik Graf als auch David Schalko unbedingt ihn haben wollten und sich keinen anderen Hauptdarsteller vorstellen konnten.
Das sei eine Auszeichnung – und auch ein Glück. Denn: „Im Casting bin ich miserabel“, gesteht Schilling. „Das ist ein Kindheitstrauma, das müsste ich vielleicht mal ablegen.“ Er scheint früher oft knapp gescheitert zu sein. Aber jetzt hat er schon lange nicht mehr in ein Casting gemusst. „Ich weiß nicht, warum. Aber für mich ist das ein Segen.“
Sieht man sich bei einer Festivalpremiere den Film eigentlich an? Oder erträgt man das gar nicht? Das sei sehr unterschiedlich, meint Schilling: „Manche Filme schaue ich sehr gerne, manche kann ich gar nicht gucken, andere habe ich nie gesehen.“
Aber, vermerkt er gleich, noch bevor man fragen kann: „Ich verrate nicht, welche!“ Weil er unangenehme Erinnerungen damit verbindet? „Ja“, nickt er. „Wahrscheinlich habe ich Angst, dass ich mich dann schäme.“ Seine Filme schaue er sich am liebsten erst mal allein an. „Um zu sehen, worauf ich mich einlasse – und ob ich tiefer in den Sitz rutschen muss.“
Umso seltsamer sei, was das Publikum manchmal gut fände und was er selbst als gelungen oder misslungen betrachte. Für beide Berlinale-Beiträge bräuchte er nun wirklich nicht in den Sitz rutschen. Aber es wird auch kaum Publikum da sein, vor dem man sich schämen könnte.
Während wir so sprechen, sind immer wieder markante Schläge vom Tennisplatz zu hören. Manchmal auch ein Stöhnen der Spieler. Das verleitet uns am Ende zu der Frage, ob Tennisspielen nicht auch eine schöne Analogie aufs Drehen sei: immer auf dem Platz stehen, immer parieren zu müssen? „Tennis“, meint Schilling, „ist eine Analogie zu allem im Leben“.
Es sei ein sehr psychologisches Spiel. Da könne man viel lernen, wie man Stärke vortäuscht oder auch kaschiert. „Wie Boris Becker so schön gesagt hat: Der Matchball und der zweite Aufschlag sind der Blick in die Seele.“ Zuviel Einblick will er dann aber doch nicht geben. Und packt seine Sportsachen, um endlich zu duschen.