Essen-Leithe/Freisenbruch. Für die Mädchen und Jungen ist es der erste klassische Konzert, für manche ihrer Eltern auch: Wie Essener Philharmoniker Kita-Kinder begeistert.

Besser hätte die Adresse nicht gewählt werden können. Das Julius-Leber-Haus der Arbeiterwohlfahrt findet sich an der Meistersingerstraße. Da es in der Stadt kein großes Angebot an Kulturveranstaltungen für Kindergartenkinder gibt, spricht die Philharmonie Essen mit „Musik kommt um die Ecke“ bewusst die jüngsten Essener an. Kinder aus überwiegend sozial benachteiligten Stadtteilen sollen Musik direkt vor Ort erleben können.

Zu Gast ist ein Blechbläserquartett der Essener Philharmoniker bei den doch sehr aufgeregten Kinder. Für viele von ihnen, eigentlich alle, steht das erste klassische Konzert ihres Lebens an. Das gilt wohl auch für ihre Eltern, die sie mitbringen durften. Sie alle werden begrüßt von Matthias Rietschel. Der frühere Leiter des Übehauses Kray betont: „Es gibt keine unmusikalischen Kinder. Es gibt ja auch keine unsportlichen Kinder.“

Viele Tipps fürs Selbstbauen von Instrumenten

An diesem Morgen ist die komplette Kita Sachsenring 110a angerückt. Leiterin der städtischen Einrichtung ist Petra Buczinsky: „Wir sind zum fünften Mal dabei, das erste Mal nach Corona. Wir sind mit der ganzen Truppe da, das sind 70 Kinder zwischen zwei und sechs Jahren. Bei den ersten Proben wurden die Kinder schnell in den Bann der Musik gezogen. Das war etwas völlig Unbekanntes für sie, schon alleine das Live-Erlebnis. Herr Rietschel hat das ganz kindgerecht aufbereitet und viele Tipps fürs Selbstbauen von Instrumenten gegeben. Dinge, die man einfach in einer Kita ausprobieren kann.“

Musikpädogoge Matthias Rietschel verteilt Instrumente an die Mädchen und Jungen der Kita Saschsenring.
Musikpädogoge Matthias Rietschel verteilt Instrumente an die Mädchen und Jungen der Kita Saschsenring. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

So entstehe aus einem Stück Gartenschlauch, einem Mundstück und einem handelsüblichen Trichter ein wunderbares Blasinstrument. „Musik kommt um die Ecke“ werde von drei pädagogischen Fachkräften durchgeführt, sagt die fürs Education-Programm der Philharmonie zuständige Merja Dworczak: „Da es organisatorisch einfacher ist, führen wir das Projekt jeweils mit nur einer Kita durch. Wir möchten nach und nach alle Instrumentengruppen eines Orchesters vorstellen. Wenn wir jede Kita zweimal im Jahr besuchen, kommen wir auf über 40 Termine jährlich.“

Dreimal war der Musikpädagoge bereits in der Kita

Matthias Rietschel hat das Format 2015 mitentwickelt und lebt es vor: „Das Konzerthaus sollte mehr in den Stadtteilen präsent sein. Die Musiker kommen, die Kinder sind aktiv beteiligt und am Ende gibt es ein Konzert für, aber eben auch mit den Kindern. Wir möchten sie auf ihren ersten Schritten begleiten in Richtung einer musikalischen Zukunft.“

Zuhören, mitsingen, ausprobieren: All das können Kindergartenkinder der Kita Sachsenring beim Besuch der Essener Philharmoniker.
Zuhören, mitsingen, ausprobieren: All das können Kindergartenkinder der Kita Sachsenring beim Besuch der Essener Philharmoniker. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Dreimal war der Musikpädagoge bereits in der Kita und hat den Kindern spielerisch Klang, Form, Rhythmus, Melodie und Harmonik nahegebracht. Sie wurden motiviert, selbst musikalisch aktiv zu werden, zu singen, Rhythmen nachzuahmen oder selber zu entwickeln. Am Ende jeder Phase steht immer ein kleines Konzert.

Das Kita-Format „Musik kommt um die Ecke“

Die Philharmonie Essen hat Angebote für Grundschulkinder und weiterführende Schulen, Familien, Babys und Demenzkranke. Es gibt Kompositionsprojekte, Führungen und Konzertbesuche.

Das Kita-Format „Musik kommt um die Ecke“ startete 2015 in Vogelheim und Südostviertel. Mittlerweile sind rund 20 Kitas in verschiedensten Stadtteilen beteiligt. In Leithe war auch Bürgermeisterin Julia Jacob zu Gast.

In dieser Spielzeit wird das Projekt von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung ermöglicht. Kontakt: Merja Dworczak ist unter 0201 8122826 oder education@philharmonie-essen.de zu erreichen.

Das Quartett der Philharmoniker trägt nun zunächst seine blechernen Instrumente herein. Cristina Neves Custόdio spielt das Horn, Lászlό Kunkli die Trompete, Turgut Carikci hat seine Posaune dabei und Alexander Kritikos schleppt die große Tuba mit sich. Die vier Profis haben sichtbar große Freude an ihrem so besonderen Auftritt.

Nachwuchs dirigiert ein riesiges Kinder-Erzieherinnen-Eltern-Klatschorchester

Manche Kinder lassen sich von der Musik so mitreißen, dass sie zu Dirigenten eines riesigen Kinder-Erzieherinnen-Eltern-Klatschorchesters werden.
Manche Kinder lassen sich von der Musik so mitreißen, dass sie zu Dirigenten eines riesigen Kinder-Erzieherinnen-Eltern-Klatschorchesters werden. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Ganz klassisch geht es los mit barocken Klängen von Georg Philipp Telemann, es folgt das neue Arrangement eines Stückes aus „Toy Story“ und bei „Es tönen die Lieder“ singen die Kinder mit. Ganz Wagemutige trauen sich was und werden zum Dirigenten eines riesigen Kinder-Erzieherinnen-Eltern-Klatschorchesters. Die Bläser wiegen sich zum Bossa Nova, jetzt wird auch noch getanzt.

Rietschel gibt den Conférencier, den Animateur, den Erklärer. Die Kinder hängen an seinen Lippen, sie staunen mit ihm, lachen mit ihm, fangen wie er unsichtbare Töne und halten sie ans Ohr. Bei Rietschel ist es auch nicht peinlich, wenn er scherzt: „Was machen unsere Musiker da? Sie pusten. Klingt manchmal fast so wie pupsen.“ Rietschel lächelt schelmisch. Die Kinderherzen fliegen ihm zu – bestenfalls begeistern sie sich weiterhin für Musik.