Duisburg. Realismus pur! Heinz Josef Klaßen ist mehr als ein Edward Hopper des Ruhrgebiets. Duisburgs Cubus Kunsthalle zeigt seine Gemälde und Fotografien.
Schemenhaft sind da Frauen und Männer im Seitenprofil eines Bus- oder Bahn-Fensters zu erkennen. Die Biermarke, die darunter beworben wird, ist schon fast vergessen – und wie alle Gemälde von Heinz Josef Klaßen aus den 70er- und 80er-Jahren des Ruhrgebiets verströmt auch dieses eine leise Melancholie des Alltags. Gäbe es auf den Bildern häufiger mal einen Menschen zu sehen, man könnte darüber nachdenken, Klaßen einen „Edward Hopper des Ruhrgebiets“ zu nennen. Aber das komplett Menschenleere, ja Gottverlassene, die stille, schwer zu entdeckende Farb-Schönheit der Gegend noch in ihren einsamsten Ecken ist geradezu das Kennzeichen dieser Bilder, die mal Fotos, mal Gemälde sind.
Der Begriff „Fotorealismus“ war Ende der 60er-Jahre gerade erst in den USA erfunden worden, da malte der Kunst- und Philosophielehrer Klaßen, der von 1966 bis 2000 am Essener Alfred-Krupp-Gymnasium unterrichtete, schon in dieser Stilrichtung. In der aktuellen Ausstellung von 57 Gemälden und über 100 Fotos in der Duisburger Cubus Kunsthalle neben dem Lehmbruck-Museum sticht das Motiv einer Tankstelle wegen seines riesigen Formats, seiner leuchtenden Farbigkeit und seiner Präzision im Detail hervor – und es gab noch echte Tankwarte: „selbst tanken“ war so unüblich, dass es als Sonderangebot hervorgehoben wurde: der Liter Benzin kostete dann nur 55,9 Pfennige. Das fahle Neonlicht, das die weißen Kacheln glänzen lässt, der bläuliche („Aral“) Schimmer über allem, die plastischen Scheiben der Zapfsäulen und der großen Fenster dahinter und das Inhaber-Schild – das alles ist um ein Haar schon fast zu gefällig für Klaßen.
Heinz Josef Klaßen arbeitete anders als die Amerikaner
Denn anders als die US-amerikanischen Protagonisten dieses Stils wie Ralph Goings, Charles Bell oder Richard Estes hatte es dieser Maler nie auf die reine Hochglanz-Augentäuscherei abgesehen, die in Pop-Art-Tradition die Oberflächen der US-Lebenswelt feierten, mit Werbeschildern, Schnellrestaurants und Autos, Autos, Autos. Und den Ehrgeiz hatten, in Glasflächen und polierten Spiegelungen Gemaltes wie ein echtes Foto aussehen zu lassen. Was ja im Fotorealismus vor allem eine Frage der Technik ist – schließlich werden die Motive auf die Leinwand projiziert und regelrecht „abgemalt“.
Fotografiert hat der 1936 im emsländischen Meppen geborene Klaßen schon seit 1948, zunächst mit der (auch von Günter Grass verewigten) Agfa Box. Ab 1959 dann mit einer Kodak Retina I B. Und zwar mit Farbdia-Filmen – während die professionelle, traditionelle Fotografie noch konsequent auf Schwarz-Weiß setzte.
Heinz Josef Klaßen erkundete das Ruhrgebiet mit der Kamera
Klaßen erkundete vor allem das westliche Ruhrgebiet mit der Kamera, es entstanden 500 Farb-Motive, die anders als die gleichzeitig entstandenen Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Bernd und Hilla Becher nicht nur die Industrie-Architektur in den Fokus nahmen, sondern die alltägliche Lebenswelt in den Städten und ihren Randzonen. Die Apotheke an der Bahn-Unterführung, die grüngelb schimmernde Kino-Fassade, die verknoteten Helbing-Brücken am Essener Hauptbahnhof im fahlen Abendlicht, die Leuchtreklamen auf der Kettwiger, ein eng geführter Ausschnitt-Blick auf einen Lebensmittel-Automaten, die müllgesprenkelte Betonwüste einer Autobahnbrücken-Unterseite, die Eisenbahnwaggons am Güterbahnhof mit Blick auf die Universität oder das Rathaus.
Klaßen wollte nicht dokumentieren. Vielmehr erforschte er die Farben und ihre Wirkung, ihre Aussagekraft für die Wirklichkeit in dem Ausschnitt, den er daraus gewählt hatte. Die wenigsten seiner 500 Diapositive wurden zu Gemälden – auf sie trifft ohnehin zu, was man lange als Inbegriff von Schönheit zu sagen pflegte: wie gemalt. Die Szene vom Hafen etwa mit einer blassgrün gekräuselten Kanalwasseroberfläche, sattgelbe Schlitze rhythmisieren die rostrote Spundwand, darüber ein etwas hellerer Kohle-Waggon, hinter dem das saftige Grün der Baumwipfel aus dem fahlen Anthrazit der Kohlehalde herausglüht – ebenso große Fotokunst wie der Schnappschuss von einer Frau im feuerroten Kleid, die einen von feuerrot-weißen Schranken und Andreaskreuzen gesäumten Bahnübergang durchschreitet.
Und wenn Heinz Josef Klaßen dann Fotos von seinen Gemälden macht, die wie Fotos aussehen, ist seine Kunst auf die Spitze getrieben – kleines Zwinkern inklusive.
Die Ausstellung im Überblick
Heinz Josef Klaßen: „Tanken und Leben im Ruhrgebiet“. Cubus Kunsthalle, Friedrich-Wilhelm-Straße 64, 47051 Duisburg (im Kantpark). Bis 8. Oktober. Öffnungszeiten: Mittwochs bis sonntags 14-18 Uhr. www.cubus-kunsthalle.de. Eintritt frei.