Essen/Duisburg. Heinz Josef Klaßen malte in den 70ern in dem Stil, der dann auch in den USA Furore machte. Er hofft auf eine Verlängerung in der Cubus-Kunsthalle.

Es könnte ein Bild aus den ersten Stunden des Lockdowns sein: Der Eingang des Europa-Kinos leuchtet noch in einladenden Neonfarben, oben sind die aktuellen Filme angeschlagen – und weit und breit kein Mensch. Bundesweit mussten Kulturbetriebe wie Kinos und Museen zum 2. November noch einmal schließen – auch die Duisburger Cubus Kunsthalle, in der am Tag vor dem Lockdown in kleiner Runde noch ein Künstlergespräch mit Heinz Josef Klaßen stattfand. Das vorzeitige Ausstellungsende ernüchtert den 84-jährigen aus Essen: „Ich hoffe, die Laufzeit kann verlängert werden und die Ausstellung wird im Dezember noch zu sehen sein.“

Präsentiert werden Farbfotografien , fotorealistische Gemälde und Skulpturen aus den vergangenen fünfzig Jahren. Ein Großteil der Bilder ist in Essen entstanden . Den „Filmpalast“ an der Viehofer Straße malte Klaßen 1971 – eines der Frühwerke, mit denen er zu einem Fotorealisten der ersten Stunde wurde.

Vorläufer von Stephen Shore, Malbruder von Don Eddy und Richard Estes

Mit den Konventionen der Zeit brach Klaßen gleich in zweifacher Hinsicht: Farbfotografie galt bis in die 70er-Jahre als kitschig, ästhetisch minderwertig. Der Clou an seinen eigenhändig restaurierten Farbaufnahmen ist, dass sie sich im Rückspiegel der Kunstgeschichte als Prototyp für Stephen Shores berühmtes Fotobuch „Uncommon Places“ (1982) betrachten lassen. Klaßens zweiter Tabubruch hatte gleichermaßen Pioniercharakter. In der nachkriegsdeutschen Kunstszene war realistische Malerei verpönt; zu groß waren die Befürchtungen, da entstehe eine Nähe zur idealisierenden Kunst der NS-Zeit oder zum Sozialistischen Realismus der Ostblockstaaten.

Klaßen malte seine Diapositive nicht bloß detailgetreu ab, sondern versah die oft menschenleeren Stadtlandschaften mit einer subtilen Spannung – für den gleichen Effekt wird US-Maler Edward Hopper weltweit verehrt. Ohne dass es dem gebürtigen Meppener bewusst war, lag seine Kunst am Puls der Zeit: In den USA gab es damals eine Reihe von Künstlern wie Don Eddy, Richard Estes und Ralph Goings, die Ikonisches der US-amerikanischen Konsumwelt lebensecht auf Leinwände übertrugen: Werbeschilder, Neonschriftzüge, Schnellrestaurants, glitzernde Autos, spiegelnde Schaufenster.

Bei ihm gab es auch Brachflächen, Bahnunterführungen und Fabriklandschaften

Auf der Documenta 1972 feierte der Fotorealismus seinen internationalen Durchbruch. Zu diesem Zeitpunkt hatte Klaßen bereits etwa dreißig fotorealistische Gemälde angefertigt und fernab der Kunstmetropolen eine eigenständige Ruhrgebietsversion des Fotorealismus entworfen. Sein Interesse galt den Insignien des großstädtischen Lebens hier: den Einkaufsstraßen, Imbissbuden, Wirtshäusern, Reklametafeln, Schnellwegen und Tankstellen, aber auch – und das unterscheidet ihn von amerikanischen Fotorealisten – Brachflächen, Bahnunterführungen und Fabriklandschaften.

Klaßens Vater, Großvater und Onkel waren Angestellte von Krupp, beim Schießplatz zur Erprobung von Geschützen im Emsland. Des junge Klaßen blätterte gern in der Kruppschen Werkszeitung und war von den Abbildungen der Schwerindustrie im Ruhrpott beeindruckt. Auf dem Dortmund-Ems-Kanal bewunderte Klaßen die mit Kohle beladenen Schleppkähne aus Ruhrort: „Ich wollte unbedingt in eine Gegend, in der auch Technik vorhanden ist.“

Und warum gibt es keine Menschen auf den Ruhrgebiets-Bildern?

Warum auf seinen Bildern vom Dreck und dem Grau des Ruhrgebiets nichts zu sehen ist? „Ich habe versucht, das Lebensgefühl der Leute hier einzufangen“, sagt Klaßen, „auf meinen Bildern ist der Himmel über dem Ruhrgebiet blau.“ Und dass kaum Menschen abgebildet sind? War Klaßens Beruf geschuldet: Der Gymnasiallehrer begab sich vor allem sonntags und in den Abendstunden auf Motivsuche. So fand er eine „Lebenswirklichkeit im Sonntagsstaat“ vor und ging einem Hindernis aus dem Weg: „Ich hatte Scheu davor, Menschen zu fotografieren. Ich fand das indiskret.“